Vortrag von Christina Vollmert: Von Tatzelwürmern und Mondkälbern. Technikinszenierung und mediale Wissen(schaft)svermittlung um 1900
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Das ‚lange 19. Jahrhundert‘ war mitunter gekennzeichnet von komplexen Modernisierungsprozessen. Besonders die technologischen Veränderungen um die Jahrhundertwende waren Umbrüche epochalen Ausmaßes: Tiefgreifende lebensweltliche Veränderungen, sowohl in wirtschaftlich-industrieller Hinsicht als auch in Bezug auf das sich ausdifferenzierende Kommunikations -und Verkehrswesen, entfalteten eine Dynamik, die Formen der gesellschaftlichen Verständigung über technologischen Fortschritt dringend erforderten. Wissensvermittlung und daraus resultierende Zukunftsentwürfe bedurften dabei einer „ästhetischen Transformation“ (K. Becker 2014), um erfahrbar, erlebbar und entschlüsselbar zu werden. Der Beitrag nimmt eben jene mediale Übersetzungsleistung in den Blick: Am Beispiel von künstlichen Umwelten auf Gewerbe- und Industrieausstellungen im Fin de Siècle wird nachgezeichnet, wie sich gesellschaftliche Aushandlungsprozesse in zukunftsorientierte Technikinszenierungen einschreiben und wie Wissen um technische Innovationen eingebettet wird in einen sinnlich erfahrbaren medial-theatralen Vermittlungsakt.
Der Beitrag wird dabei gleichsam auf die dem Forschungsprojekt zugrundeliegenden Methoden eingehen und der Spur archivarischer Überreste folgen, um einer vergangenen Realität aufzuspüren, die aus heutiger Perspektive lediglich über ihr Nachleben in Postkarten und Andenken, Tagebucheinträgen und Plakaten, Ausstellungskarten und Fotografien erfahrbar ist. Der Um- und Zugang mit archivalischen Materialien und Artefakten folgt dabei dem Konzept der Spur als wissenschaftliche Praxis und dem Spurenlesen als ‚kultureller Orientierungstechnik und Wissenskunst‘, wie es Sybille Krämer in Anschluss an Carlo Ginzburg formuliert hat.
Christina Vollmert ist Medienkulturwissenschaftlerin und Kunsthistorikern und derzeit Doktorandin am Institut für Medienkultur und Theater und der a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities der Universität zu Köln. Sie ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Department Kunst & Musik sowie der Arbeitsgruppe Medienpädagogik & Mediendidaktik für die Koordination des Intermedia-Studiengang tätig und widmet sich auch in ihrer Forschung intermedialen Phänomenen: Sie forscht und lehrt in den Bereichen Technik- Theater- und Mediengeschichte des 19. Jahrhunderts und Visual Culture (insbesondere fotografische Praxis) des 19. Jahrhunderts sowie aktuelle Phänomene digitaler Bildkulturen.
Der Vortrag ist Teil der Veranstaltungsreihe Ringvorlesung Intermedia und findet via Zoom statt.
Bildcredits: Wehe-Wehl: Patent- und Musterschutz-Ausstellung Frankfurt a.M. 1881 ©Theaterwissenschaftliche Sammlung der Universität zu Köln, Sammlung Heinrich Stiebel, Signatur HS3325.