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Vortrag von Jona Garz: Daten entscheiden über das Leben. Der Personalbogen als kleine Form des Wissens um 1900

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Ende des 19. Jahrhunderts begannen Medizin und Pädagogik sich für eine Gruppe von Kindern zu interessieren: Kinder, die den Erwartungen an ihre körperliche und geistige Entwicklung und Leistungsfähigkeit nicht entsprachen. Auch wenn die Ursache dieses sogenannten Zurückbleibens unklar blieb, entstanden rasch neue Gebäude, in denen diese Kinder durch medizinische und pädagogische Behandlung Besserung erfahren sollten.

Im Vortrag werden die Vordrucke dieser Institutionen als ein Beispiel einer kleinen Form des Wissens verhandelt. „Kleine Formen des Wissens“ – Formulare, Listen, Karteikarten und anderes mehr – werden als papierne Wissenswerkzeuge präsentiert, die man historisch auf ihre gewollten und ungewollten administrativen und epistemischen Effekte hin untersuchen kann. Sie eröffnen die Möglichkeit eine epistemologische Perspektive einzunehmen, die den Fokus auf die mit der Form verbundenen Praktiken des Schreibens und Verarbeitens von Wissen legt. Damit lässt sich am Beispiel der individuellen Aktenführung in sogenannten Idiotenanstalten und -schulen nicht nur eine Einsicht in die Entwicklung psychiatrischer bzw. pädagogischer Verwaltungsarbeit gewinnen, sondern auch, in die Methoden, durch die sich das Wissen zu „kindlichem Schwachsinn“ überhaupt formierte.
 
Jona T. Garz forscht interdisziplinär zu bildungs-, psychiatrie- und psychologiegeschichtlichen Fragen. In seiner Dissertation hat er sich mit der individuellen Aktenführung als Wissenstechnologie beschäftigt. Seit diesem Jahr forscht er am Lehrstuhl für Inklusion und Diversität an der Universität Zürich, wo er an einer Kartographie der unübersichtlichen Wissenspraktiken rund um Behinderung arbeitet. Bevor er sich für Formulare, Vordrucke und das Vermessen von Menschen interessierte, studierte er Evangelische Theologie in Marburg und Berlin. Vielleicht ist es eine Nachwirkung dieses Studiums, dass seine Leidenschaft den großen – theoretischen und methodologischen – Problemen geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschung gilt.
 
Die Ringvorlesung findet im Wintersemester 2022 in Präsenz statt. Gäste sind herzlich willkommen im THEATER. Die Vorträge werden aufgezeichnet und zeitnah unter https://kunst.uni-koeln.de/monthly/.
 
Bildcredits: Ausschnitt aus einem Personalbogen, Landesarchiv Berlin A Rep. 202-52, Nr. 20.

Details

Datum:
17. Januar 2023
Zeit:
18:00 - 19:30
Format:

Veranstaltungsort

THEATER (Raum 2.212)
Gronewaldstr. 2
Köln, 50931 Deutschland
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Webseite:
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Veranstalter

Department Kunst und Musik