Artist Talk – Alice Creischer & Andreas Siekmann: Die Ausstellung Potosí Prinzip und ihr Archiv
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Das Ausstellungsprojekt „Das Potosí-Prinzip“ (kuratiert von Alice Creischer, Max Jorge HInderer und Andreas Siekmann) wurde 2010 im Reina Sofía Museum in Madrid und im Haus der Kulturen der Welt in Berlin gezeigt, 2011 ging die Ausstellung zum Museo Nacional de Arte und zum Museo Nacional de Etnografia y Folklore in La Paz.
Der Ausgangspunkt für das Projekt war die Stadt Potosí, eine Minenstadt in Bolivien, von der man sagt, dass sie im 16. Jahrhundert größer und prächtiger war als London und Paris. Man sagt, dass man mit dem Silber, das von Potosí nach Europa ging, eine Brücke über den Atlantik bis zum Hafen von Cádiz bauen könnte. So sehr aber war der spanische König verschuldet, dass es noch vor dem Hafen in Schiffe für die Börsen ganz Europas umgeladen wurde. Es verursachte eine entscheidende Dynamik für die Entwicklung der Industrie, des Bankenwesens, der kolonialen Handelskompanien und ihrer Kriegs- und Sklavenschiffe und für die Vertreibung, Verelendung, Verfügbarmachung von Personen zu Arbeitskräften – gleichzeitig in Europa und den Kolonien. Es ist der Beginn eines Prinzips, das schon seit jeher global agierte. Es ging in diesem Projekt um die Vergegenwärtigung der Tatsache, daß die moderne europäische Gesellschaft nicht ohne ihre koloniale Bedingtheit und ihre Verbrechen gedacht werden kann. Es ging darum, zu zeigen, wie sich diese Bedingtheit bis jetzt und überall fortsetzt.
In dieser historischen Dynamik wurde eine Produktion von barocken Bildern freigesetzt, die zunächst in die Kolonien verschifft wurden, um dann dort eigene Bilder zu erzeugen. In der Ausstellung wurden einige dieser Bilder gezeigt als Zeugen dafür, daß kulturelle Hegemonie keine symbolische Größe ist, sondern eine Gewalt. Wir hatten FreundInnen und KünstlerkollegInnen eingeladen, auf die barocken Bilder aus Potosí aus dieser Perspektive zu antworten. In den Diskussionen über eine dekoloniale künstlerische und institutionelle Praxis, die in den nächsten zehn Jahren folgten und bis heute andauern, wurde das Projekt zu einem viel zitierten Beispiel.
Zehn Jahre später ist ein Archiv zu diesem Projekt entstanden. Das Archiv besteht aus 36 Broschüren, die in vier Kapitel unterteilt sind. Es ist kein Archiv im eigentlichen Sinne, sondern möchte eher die damals gestellten Fragen weiterführen und untersuchen, was sich in den letzten 10 Jahren daran verändert hat. Auch interessierte uns, wie sich die Praxis der KünstlerInnen, die an diesem Projekt beteiligt waren, fortgesetzt hatte. Zunächst planten wir das Archiv zusammen mit allen Institutionen, die am Projekt beteiligt waren. Aber der Coup d‘État in Bolivien 2019 und die Pandemie haben dies nicht zugelassen. Stattdessen bildeten sich diese Ereignisse selbst im Archiv ab.
Die Kapitel des Archivs richten sich nach den ursprünglichen Kapiteln im Potosí Projekt und revidieren sie zugleich: Unsere Frage nach der ursprünglichen Akkumulation wandelt sich um zur Frage nach der Krise, als Herbeiführung von Not in der Überproduktion. Die Frage nach Menschenrechten als Sedativ für Ausbeutung wandelt sich um in die Frage nach dem Monopol bürgerlicher Freiheit, das alle anderen Rechte verdrängt oder inkorporiert. Die Frage nach der Rolle der Kunst in dieser Freiheit, wandelte sich zur Bestätigung der gefürchteten Faulheit, wenn denn der Kommunismus eintreten würde. Und die Frage nach einer Welt auf dem Kopf, die wir im ersten Projekt formulierten, mußte nun dringlicher gestellt werden in einem „As if we had nothing to loose but chains“.
In den Kapiteln sind versammelt: KünstlerInnen-Hefte, Hefte zu Themen wie Extraktivismus, Arbeit, Schulden, Inquisition, der Putsch in Bolivien 2019, Maschinenkapitalismus, Bereicherung 2008, Dekolonisierungspraxis. Die Texte sind Interviews, Briefe, historische Quellen, Erzählungen, Gedichte, Ausschnitte aus Büchern und Filmen.
Eine Ausstellung Potosí Archiv ist gerade in Köln in der Akademie der Künste der Welt zu sehen. Am 19. Mai gibt es eine Buchvorstellung des Archivs.
Der Vortrag ist Teil der Vortragsreihe Künstlerische Praxis.
Gäste sind herzlich willkommen und finden die Zugangsdaten in ILIAS. Externe Gäste wenden sich bitte an lmuno@smail.uni-koeln.de.