Vortrag von Oktay Bilgi: Geschichten erzählen in Multispezies-Welten. Wissenschaft auf dem Weg zu einer Sprache des Lebens
- Diese Veranstaltung hat bereits stattgefunden.
„You can’t really change the heart without telling a
story“ (Martha C. Nussbaum 2012)
In einer Zeit, in der wir zunehmend das Bewusstsein entwickeln, auf einem beschädigten Planeten zu leben, stehen wir vor großen Herausforderungen. Die Frage nach einer zukunftsfähigen und lebenswerten Welt ist angesichts der existenziellen Dimension dieser Krisen eines der brennenden Themen von Wissenschaft und Forschung. Immer mehr setzt sich dabei die Erkenntnis durch, dass allein Statistiken und abstrakte Modelle die erhoffte Transformation nicht herbeiführen können. Wie die Philosophin Cora Diamond (2017) argumentiert, können logische Argumente vor allem jene Menschen überzeugen, „deren Herz (…) sowieso schon dahin tendiert“ (Hervorh. i. O./ ebd., S. 60). Geschichten hingegen können unsere Wahrnehmung und den Sinn für das pulsierende im „Umkreis unseres Lebens“ (ebd. 14) ansprechen. Die Schriftstellerin Ursula K. Le Guin bietet mit ihrer “Tragetaschentheorie des Erzählens” wichtige Impulse für eine neue Auffassung von Geschichtserzählung, die statt den dominanten linearen Erzählungen eines Wachstums- und Machbarkeitsoptimismus den vielfältigen, unscheinbaren Geschichten des verwickelten Lebens in Multispezies-Welten Aufmerksamkeit schenkt. Wie ist eine Forschung denkbar, die analytische Konzepte und kontrollierte Methoden mit einer ästhetisch-engagierten Praxis des Geschichtenerzählens verbindet? Wie lassen sich konkret gelebte, situierte und verstrickte Fäden des Zusammenlebens zu einer Geschichte verweben, um jene Erfahrungen, die dem Lebendigsein nachspüren, zu verstehen, aber in der Sprache der Wissenschaften oft sprachlos geblieben sind?
Auf der Basis phänomenologischer und post-qualitativer Ansätze wird in dem Vortrag zunächst die Forschungsperspektive der Multispezies-Forschung vorgestellt und das Geschichtenerzählen/Storrytelling (Haraway 2018) als forscherisch-ästhetische Praxis des Schreibens und Sprechens in artenübergreifenden Welterzeugungsprozessen diskutiert. Am empirischen Beispiel einer Ortsgeschichte zwischen Kindern, Schnecken, Läusen und Zecken in einer Kita wird schließlich untersucht, wie ‘Zwischenräume’ für erweiterte Wahrnehmungen, Imaginationen und Praktiken auch in ‘unliebsamen’ Multispezies-Beziehungen entstehen und gestaltet werden können, die neue Horizonte für ethische Fragen des Lernens und Lebens in Multispezies-Welten eröffnen.
Oktay Bilgi (Dr.) ist Erziehungswissenschaftler an der Universität zu Köln. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen die Theoriebildung, kulturelle Bildung, Care, Konvivialität sowie Multispezies-Forschung in der Pädagogik der Kindheit. Ab Dezember 2024 übernimmt er an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft (Alfter/Bonn) eine Professur für Kindheitspädagogik. Kontakt: oktay.bilgi@alanus.edu
Literatur:
Despret, Vinciane (2019): Was würden Tiere sagen, würden wir die richtigen Fragen stellen? UNRAST: Münster.
Diamond, Cora (2017): Menschen, Tiere und Begriffe. Suhrkamp: Berlin.
Haraway, Donna J. (2018): Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän. Campus: Frankfurt/New York.
Le Guin, Ursula K. (2021): Am Anfang war der Beutel. Warum uns Fortschritt-Utopien an den Rand des Abgrunds führten und wie Debken in Rundungen die Grundlage für gutes Leben schafft. thikoya: Klein Jasedow.
Nussbaum, Martha C. (2012): How to write about poverty. https://www.law.uchicago.edu/news/nussbaum-reviews-two-books-poverty-india (Zugriff: 19. Mai 2024).
Bildcredits:
Okay Bilgi
Hinweise zur Barrierefreiheit:
Die Veranstaltung findet in der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln, Gebäude 216, in der Gronewaldstr. 2 statt. Die Eingänge liegen zur Herbert-Lewin-Str. Das gesamte Gebäude ist ebenerdig gelegen und weitere Etagen sind mit Aufzügen erreichbar. Die Eingänge sind für die meisten Rollstühle, Kinderwagen und Gehhilfen breit genug. Die Türen können elektronisch geöffnet werden.
Die Veranstaltungsräume THEATER, MBR und LAB befinden sich im 2. Obergeschoss des BT2 (Bauteil 2), das am besten über den nördlichen Eingang an der Ostseite in Richtung des Kanals zu erreichen ist. Ein Aufzug ist vorhanden, allerdings müssen Zwischentüren durchquert werden, welche nur teilweise elektrisch zu öffnen sind, sodass zusätzliche Unterstützung notwendig sein kann.
In diesem Gebäudeteil gibt es keine Toiletten. Die nächsten Toiletten befinden sich im BT1 (Hauptgebäude), das mit dem Fahrstuhl und teilweise elektrischen Türen erreichbar ist. Im BT1 befinden sich binär getrennte Toiletten, welche rollstuhlgerecht erreicht werden können. Das behindertengerechte WC befindet sich im Erdgeschoss. Das WC ist ausgestattet mit einer Toilette und einer Dusche. Zugänglich ist das WC mit dem Euro-Behinderten-WC-Schlüssel, der auch beim Hausmeister dieses Gebäudes zu entleihen ist. Die nächsten Toiletten für alle Geschlechter befinden sich im Untergeschoss im BT2 und ist ebenfalls mit Fahrstuhl zu erreichen. Der Zugang zu diesen Toiletten ist während der regulären Öffnungszeiten gewährleistet.