Vortrag von Theresa Schütz: Theater der Vereinnahmung 2.0. Bindungstechnologien von der Mühl-Kommune bis zum immersiven Theater der Gegenwart

Neue Episode © Respectful Nettheaterchannel:

Vortrag gehalten im Seminar “Performing the Digital”, von Martina Leeker, im Fach Kunst und Kunsttheorie, Department Kunst und Musik, Universität zu Köln, 5.12.2023.

 

Abstract:
Immersive Dispositive, die Menschen auf bestimmte Art und Weise situativ und emotional in eine fiktionalisierte Weltversion einbinden, sind nicht nur im Theater zu finden. Der Vortrag verfolgt die These, dass auch ausgewählte, sich im Kunstkontext verortende Projekte zur Realisierung alternativer Lebensformen – wie prominent die Kommune von Otto Mühl in den 70er und 80er Jahren – immersive Dispositive zur Vereinnahmung ihrer Teilnehmer*innen darstellen. Bei ihnen kommen insbesondere Medienpraktiken (von der ‚reinen‘ Dokumentation der Ereignisse, über experimentelle Film- und Performanceproduktion bis zum Drogenrausch) als „Bindungstechnologien“ in den Blick, die zum einen beteiligte Menschen affektiv an die auszuprobierende Lebensform binden, z.B., indem sie sich zugunsten ihrer Realisierung bestimmten Regeln unterwerfen. Und zum anderen auch daran mitwirken, die Fiktion eines „Soziallabors“ als Wirklichkeit zu beglaubigen; sei es gegenüber der Außenwelt, sei es für die interne Kommunikation und Stabilisierung. Am Beispiel der Mühl-Kommune und drei aktuelleren Beispielen der Gegenwartskunst (von Łukasz Twarkowski, Sisters Hope und Ilya Khrzhanovsky) wird deutlich, wie immersive Kunstprojekte mittels verschiedener affektiver Bindungstechnologien, künstlerisch eingebettet in das positiv besetzte Narrativ der gemeinschaftlichen Hervorbringung einer alternativen Lebensform, radikale Parallelgesellschaften erzeugen. Dabei unterscheiden sich die letztgenannten Beispiele in Reichweite und Wirkungsweise deutlich von Beispielen immersiven Theaters à la SIGNA – auch insofern, als dass der Grad der Vereinnahmung für die Involvierten kaum noch selbst zum Gegenstand kritischer Reflexion werden kann.

 

Theresa Schütz ist Theaterwissenschaftlerin an der FU Berlin und Postdoktorandin im SFB „Affective Societies“.

 

The Respectful Nettheatrchannel präsentiert seit Juli 2021 Gespräche und Diskussionen zu Theater und Digitalität. Projekte des The Respectful Nettheaterchannel entstehen in Kooperation mit der Universität zu Köln, Kunst und Kunsttheorie.