DIY Biennale Venezia – Part 3

Reaktion auf: Ali Kazma – Resistance (Türkischer Pavillon)

Von Lyn Oliver

Ali Kazma ist 1971 in Istanbul geboren, lebt und arbeiten ebenfalls dort und ist ein international bekannter Videokünstler. Er stellte unter anderem in New York, der Schweiz, Frankreich, Brasilien und Italien aus. Seine Videoarbeiten werfen Fragen über den Menschen im Allgemeinen, sowie über die Bedeutung und Relevanz seiner Handlungen und Arbeit, auf. Besonders in Bezug auf: Produktion, Kommerz und soziale Organisation.
Auch in seinem Beitrag zur Biennale 2013 beschäftigt er sich mit Diskursen, Techniken und Taktiken, die mittlerweile vom, oder für den Menschen entwickelt wurden. Er legt hierbei den Fokus auf Strategien und Maßnahmen, die den menschlichen Körper, zum einen von seinen physischen und psychischen Grenzen, zu befreien vermögen. Ihn andererseits beschränken, um ihn kontrollieren zu können. Seiner Meinung nach ist der Köper durch Sozialisation, Kultur, Ökonomie, Politik, Wissenschaft und zu guter Letzt von kognitiven Ressourcen geformt wird. „Resistance“ wirft Fragen auf, die in den beiden verwobenen Termini: ‚being a body‘ versus ‚having a body‘ kulminieren.

Mein Eindruck der aus vier Videos bestehenden Arbeit ließ sich am besten in einer Art Performance ausdrücken. Zum einen fesselte mich der neutrale Rahmen, in dem die, unter anderem schockierenden, verstörenden Szenen gezeigt wurden. Uns allen geläufige Verfahren, wie das Sezieren einer Maus, Bodybuilder während eines Wettbewerbs, Aufnahmen eines Gefängnisses, Medizinstudenten in einem Praxisseminar, Fesseltechniken am lebenden Beispiel usw. , wurden jedoch so kommentarlos und unverhüllt gezeigt, dass es teilweise in der Zusammenstellung und der Schamlosigkeit, schon fast eine groteske Wirkung hatte.
Nichtsdestotrotz warfen die Bilder Gedanken und Fragen auf, die ich mir bis dato noch nicht gestellt hatte, bzw. deren Konsequenz ich nicht hinreichend bedacht hatte. Meinen eignen Körper als ein, von gesellschaftlichen Konventionen, sozialen Bedingungen, sowie meiner eigenen psychischen Verfassung bedingtes, Objekt anzusehen, war mir neu.
Mein Anliegen war es, mich selbst einer Situation auszusetzen, die mich erfahren lassen würde, wie es ist, sich selbst und seinen Köper offenkundig, als ‚formbares‘ Objekt, anderen zur Verfügung zu stellen.

Im Zuge dessen hab ich mich von Kommilitonen und anderen Reisenden vor Ali Kazmas Arbeit bemalen lassen. Mich interessierte zum einen, wie ich mich bei meiner ‚Performance‘ fühlen würde und wie die Reaktion der anderen Menschen sein würde, denen ich mich als ‚Leinwand‘ zur Verfügung gestellt hatte.


Quellen:
1) http://www.c24gallery.com/artists/ali-kazma/#bio (14.07.13)
2) http://pavilionofturkey.iksv.org/ (14.07.13)

Reaktion auf: Waheeda Malullah (Pavillon Bahrain)

Von: Sandra Lorenzen

„The other side“, ein kurzes Fotoprojekt zum Seminar „DIY- Biennale Venedig“
Die Exkursion zur Biennale Venedig war für mich eine spannende und lehrreiche Erfahrung. Von der Masse der Bilder war ich einfach hypnotisiert. Teilweise habe ich mich nur hingesetzt, gelauscht, betrachtet, gestaunt, gelacht und sogar geweint. Die Suche nach einem Künstler oder einer Künstlerin war für mich deshalb erst einmal ein „Ding der Unmöglichkeit“, „wie soll ich denn aus dieser Masse an interessanten Werken eines heraussuchen?“ Ich wollte alle sehen und dann meine Entscheidung treffen, was in den 3 Tagen bei 88 Nationalpavillons und über 50 Kollateralevents, einfach nicht möglich war.
Nach der Biennale entschied ich mich schließlich für eine Künstlerin Namens Waheeda Malullah aus dem Pavillon des Königreichs Bahrain. Die Künstlerin zeigte auf der Biennale Venedig Fotografien einer jungen Frau in islamischer Kleidung, „Burka“, die fröhlich und spielerisch die Stadt erkundet. Waheeda Malullah erklärt dazu, dass die junge Frau gerne mit der Umwelt in Kontakt treten möchte, aber es nicht kann. Die Bilder zeigen sie im Versuch dabei. Mir hat an den Bildern gefallen, dass sie eine Frau zeigen, die sich zwar an die Normen der Gesellschaft hält, in der sie aufgewachsen ist, indem sie sich entsprechend kleidet und dennoch nicht so verhält, wie man es erwarten würde.

Sie wird von Waheeda Malullah gezeigt, wie sie mit einem Bündel Lila Luftballons durch die Stadt rennt, mit einem Fischmotiv im Hintergrund spielt, Tauben verscheucht etc. Auch verschwindet sie im Hintergrund, weil man sie selbst für einen Gegenstand halten könnte. Ich fragte mich an dieser Stelle, wie es wohl ist, diese Kleidung zu tragen und für die Umwelt nicht identifizierbar zu sein und machte mir Gedanken über die Isolation der Frauen, die eine Burka tragen. Darüber hinaus sah ich in Venedig, bei hochsommerlichen Temperaturen, mehrfach Frauen in dunkler Burka in Begleitung von Männern in leichter Sommerbekleidung.
In diesem Kontext wurde ich meiner Freiheiten erneut bewusst und nahm deutlich wahr mit welchen Themen oder auch Beschränkungen sich Frauen in anderen Kulturkreisen auseinandersetzen.

Dies bewog mich letztendlich dazu mit diesem Thema auseinander zu setzen, zu recherchieren und mir schließlich eine Burka bzw. Niqab (mit Sichtschlitz) zu beschaffen. Bei meiner Recherche stieß ich auf mehrfache Diskussionen in diversen Zeitungen, die das Burkaverbot in Belgien diskutierten. In Belgien ist es gesetzlich verboten, eine Burka in der Öffentlichkeit zu tragen. Personen die dies trotzdem tun, müssen empfindliche Geldstrafen zahlen oder gehen für 7 Tage ins Gefängnis. Begründet wird dies mit der nationalen Sicherheit, da Personen in Burka nicht identifizierbar sind und mit der „Abschaffung der Diskriminierung von Frauen“. Leider trifft das Gesetz genau diese, denn ihre Ehemänner tragen mit großer Wahrscheinlichkeit keine Burka und müssen nicht dafür ins Gefängnis gehen. Letztendlich schreibt ihnen wieder jemand vor was sie tragen dürfen und was nicht. Soll so Befreiung aussehen?
Die Einführung dieses Gesetzes wurde auch in Deutschland überlegt. Natürlich wegen der „nationalen Sicherheit“. Es drängte sich die Frage auf, ob Karneval auch bald abgeschafft wird, aufgrund des Risikos für die Gesellschaft.

Mein kleines Experiment begann damit nachzuforschen, woher ich eine Burka bekommen kann. Ich fand in der näheren Umgebung keinen Laden, aber glücklicherweise wurde ich im Internet fündig. Ich fand eine Niqab mit Sichtschlitz. Das Päckchen kam etwas verspätet an und ich probierte sie sofort an. Leider wird keine Gebrauchsanweisung mitgeschickt. Wie zieht man das wohl an?
Nach mehreren Versuchen klappte es, aber es sah immer noch irgendwie falsch aus.
Ich fragte mich was wohl hier in Deutschland passiert, wenn man sich in Burka ebenfalls nicht Rollenkonform benimmt, wie in den Bildern Waheeda Malullahs. Auch die Auseinandersetzung mit einer anderen Kultur, Abgrenzung zur Außenwelt, das Fehlen der Identität durch die Kleidung, Geschlechterrollen, soziale Normen und Erwartungen und das Thema Selbstbefreiung interessierten mich.

Daraus entstand schließlich die Idee für das Fotoprojekt, als „künstlerische Antwort“ auf die Fotografien Waheeda Malullahs.
Da ich mich selbst nicht in einer Burka ablichten konnte, fotografierte ich eine Freundin, in Köln Ehrenfeld in der Niqab, während sie sich nicht „Rollenkonform“ verhielt. Es entstanden so über 900 Bilder, die sie in spielerischen Situationen zeigten.
So ist sie in Burka Rollschuh gefahren, hat getanzt, mit Seifenblasen gespielt und mit Kreide auf dem Boden und Wände gemalt. Das Spielerische sollte zum einen eine Antwort auf die Bilder der Künstlerin sein, zum anderen beobachtete ich die Reaktionen der Umwelt auf manche Provokationen. Ich habe so das Thema „Cultural Hacking“ aufgegriffen und ausprobiert. Das Thema der „nationalen Sicherheit“ sollte auch etwas humorvoll verpackt wieder auftauchen, indem ich meiner Freundin eine Wasserpistole in die Hand drückte, während sie ihren Freund damit jagte.

Die Reaktionen der Passanten gingen von großen staunen, Menschen die stehen blieben und uns beobachteten, mehreren Reaktionen mit Daumen hoch, hin zu lautem Lachen und ein paar Menschen, die gerne Abzüge davon hätten. Die Polizei hielt auch für einige Minuten im Wagen an, sie beobachten uns lachend und fuhren wieder davon. Allerdings fühlten sich ein paar Passanten angegriffen sie fragten uns, ob wir keinen Respekt vor ihrer Religion hätten. Ein Mann verwickelte uns in eine Diskussion und erklärte, dass er sich auch nicht über unserem Papst lustig machen würde und dass dies respektlos sei. Wir konnten ihn schließlich überzeugen, dass die Bilder in keiner bösen Absicht entstehen und dass es unter anderem auch um Toleranz gegenüber der Kleidung geht.
Meine Freundin berichtete, dass sie obwohl sie mehr Kleidung anhatte als jemals zuvor, sich trotzdem wie „nackt“ fühlte, weil die Menschen sie anstarrten und versuchten heraus zu finden wer sie ist.

Der eigene künstlerische Prozess bestand für mich in der Auswahl der Bildmotive, Objekte, Positionen und Darstellungen sowie darin mit Menschen in Kontakt zu treten und eventuell zum Nachdenken zu bewegen. Für mich war dieses Projekt insgesamt eine Bereicherung, denn es hat mich gelehrt, dass es ein Privileg ist die Entscheidungen über die Wahl meiner Kleidung oder meines Glaubens treffen zu können und meine Meinung dazu äußern zu dürfen. Auch wenn ich für die Stärkung der Rechte derer bin, die eine Burka nicht freiwillig tragen, bin ich froh, dass in unserem Land die Freiheit besteht frei zu entscheiden, was ein Mensch tragen möchte und was nicht. Die folgenden Bilder sind ein kleiner Ausschnitt dieser Erfahrungen.

Reaktion auf: Pawel Althamer – Venetians (2013) (Gruppenausstellung Arsenale)

Von Fiona Kubat und Dennis Frasek

Ein wirklich großer Raum im Arsenale der Biennale in Veneidg, gefüllt mit neunzig Skulpturen. Aus Plastik, Metall, Acryl und Farbe bestehende, circa 1.30m große, geistartige, filigrane Gestalten. Pawel Althamers „Venetians“ fallen auf. Der Künstler, geboren im Jahre 1967 in Warschau, hat einen Abschluss in Bildhauerei und setzt sich in Performance, Video, Installationen und eben Skulpturen vor allem mit dem menschlichen Körper und der menschlichen Existenz auseinander. „It is a major achievement to realize that the body is only a vehicle for the soul“, heißt es verheißungsvoll in der Beschreibung des Kunstwerkes auf der Biennale. Die Skulpturen seien dabei ein Ersatz für echte Menschen.

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=arxAYO-ERtg]

„It’s up to you, what you find here“, sagt Althamer in diesem Videointerview zu seinem Kunstwerk auf der Biennale. Außerdem betont er, wie dieses Werk zur Partizipation einlade. Genau dieses Gefühl hatten wir auch direkt vernommen, als wir zwischen den Skulpturen entlang gingen. Irgendwie gehörte man gleich dazu und doch irgendwie überhaupt nicht. Sah man sich dann um, merkte man, dass dieses Kunstwerk die Leute fesselte. Die Besucher machten sehr viele Fotos, fast so, als würden sie statt der Skulpturen eben echte Menschen und ihre Bewegungen festhalten wollen, ja, Bilder zum Andenken machen. Wie auf einer Urlaubsreise.

Wie auf einer Urlaubsreise? Wie als Tourist*in in Venedig! Wir als Tourist*innen in Venedig!
Auf einmal sahen wir in den geistartigen, gruseligen Skulptur-Menschen die echten Venezianer*innen, die all diese fotoschießenden, skrupellosen Tourist*innen ertragen müssen, uns eingeschlossen.
Da Althamer mit diesen Skulpturen und ihrer Anordnung, wie wir es empfanden, wirklich zum Partizipieren einlädt – auch durch den großen Raum, der Distanz zwischen den einzelnen Skulpturen – haben wir uns bewusst dazu entschlossen, einfach frei unseren Assoziationen zu folgen, durch das bloße Werk inspiriert, eine eigene Geschichte zu erfinden. Wir wollten die Skulpturen nutzen, unsere eigenen Gedanken der letzten Tage schließlich in dem Werk zu finden und künstlerisch-spielerisch umzusetzen. Heraus kam eine Geschichte, die im ersten Teil aus Fotografien besteht, die uns selbst als Tourist*in zeigen, wie wir mit den Venezianer*innen agieren bzw. nicht agieren und diese rücksichtlos mit unseren Bedürfnissen als Tourist*in in die Ecke drängen oder sogar für Aufnahmen á la „Schau mal, so sehen die Italiener aus“ nutzen. Den zweiten Teil der Geschichte konnten die anderen Kursteilnehmer*innen miterleben. Irgendwo zwischen Performance und Schauspiel inszenierten wir unsere Touri-Fotografien nach, um den Anderen unser Konzept zu verdeutlichen. Schließlich wollten wir es jedoch nicht dabei belassen, sondern gemeinsam mit den anderen Kurteilnehmer*innen eine Entschuldigung für das rücksichtslose Verhalten erbringen. Wir wollten sie bewusst in unsere Geschichte integrieren, denn auch sie sind ja betroffen. Dazu verteilten wir an alle Blumen und führten sie zu den Skulptur-Menschen und forderten sie auf, Blumen zu ihren Füßen zu legen. Eine wirkliche Interaktion zwischen Skulptur und Mensch, Venezianer*innen und uns, geschah dabei jedoch auch nicht wirklich. Es wirkte eher wie eine Friedhofszeremonie.
So bleibt im Endeffekt die Skulptur doch eine Skulptur und wir bleiben die Menschen.
Doch die Einladung zur Partizipation lebte in unserer Geschichte auf. Für einen Moment war unsere Geschichte real und die Skulpturen standen tatsächlich für Menschen.

Wir sind in Venedig als Tourist*innen, die Einheimischen wirken kalt und leer. Nur geistartig sind sie noch da! Sie werden verdrängt von Gondeln, Pizza und Kunstveranstaltungen. Doch das stört weder die anderen Tourist*innen, die schöne Fotos machen, noch uns!

Der Ausstellungsraum spiegelt also die Außenwelt ganz gut wieder. Wenn man aber mal darüber nachdenkt, wie man sich als Tourist*in so auf alles stürzt, dann tut es einem ganz schön leid. Vielleicht sind die leeren Hüllen der Venezianer*innen schon zu kalt, aber wir möchten uns entschuldigen.

Zu den anderen Parts:

DIY Biennale Venezia – Part 1
DIY Biennale Venezia – Part 2
DIY Biennale Venezia – Part 4