Filmvermittlung – institutionell, methodisch und persönlichkeitsbildend
Vor gut drei Wochen fand das 14. Internationale Bremer Symposium zum Film statt. Es widmete sich unter dem Titel „Vom Kino lernen“ der Filmvermittlung – ich hatte bereits darauf verwiesen.
Ich konnte dort mit einem kurzen Beitrag in einem vorgeschalteten Nachwuchskolloquium teilnehmen und meine derzeitige Forschung zur Relation von Film und Bildung(stheorie) mit jungen Wissenschaftlern aus Frankreich, Italien, Holland und Deutschland diskutieren. Die internationale und thematische Ausrichtung des Kolloquiums erwies sich nachträglich als programmatisch für das folgende Symposium. Dieses umfasste Vorträge, die sich grob in drei thematische Gruppen unterscheiden lassen:¬†1.¬†Institutionen der Filmvermittlung, 2. Methoden der Filmvermittlung und 3. Film(vermittlung) und individuelle Bildung.
1. Institutionen der Filmvermittlung:
Neben Vertretern einer akademischen Forschung an Fragen des Films und seiner Vermittlung (z.B. Alain Bergala, Paris; Peter Decherney, Pennsylvania; Marc Ries, Leipzig ¬†und Winfried Pauleit, Bremen) kamen mit Nathalie Bourgeois (Cinémath√®que Francaise, Paris), Michael Löbenstein und Dominik Tschütscher (Österreichisches Filmmuseum, Wien), Stefanie Schlüter und Stefan Pethke vom Projekt Kunst der Vermittlung (Berlin), Cary Bazalgette (ehemals British Film Institut, London), N√∫ria Aidelmann und Laia Colell (A Bao A Qu / Cinema en cours, Barcelona) weitere und nicht weniger bedeutende Institutionen zu Wort: Kinematheken, Filmmuseen, Filminstitute, kommunale Kinos und freie Forschungsgruppen zum Film.
Zuletzt genannte Institutionen befassen sich, wie man hören und sehen konnte, nicht nur mit dem Sammeln, Bewahren, Restaurieren und Aufführen des Films, sondern sind auch Orte seiner Erforschung und Vermittlung.
Sie stoßen damit in die Lücke einer noch ausstehenden universitären Filmlehrerausbildung. Auch wenn an den Schulen mittlerweile der Umgang mit Film in all seinen Facetten curricular verankert ist, existieren an den Universitäten bisher nur implizite Ansätze der Filmvermittlung. Ein Beispiel dafür ist die Universität Bremen, wo am Institut für Kunstwissenschaft und Kunstpädagogik seit 2003 eine intergierte Film- und Medienwissenschaft gelehrt wird, die sich auch der Vermittlung von Film widmet.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass unter dieser thematischen Perspektive das Symposium einen Einblick in ein sehr breites Feld institutioneller Filmvermittlung¬†ermöglichte, in dem zumindest in Deutschland (in Frankreich beispielsweise ist das, denke ich, ein wenig anders) die angesprochenen Institutionen noch zu sehr für sich operieren, obwohl sie sich doch in ihren Ansätzen ganz offensichtlich anregen und ergänzen könnten.
Hier scheint mir noch viel Entwicklungspotenzial für die Filmvermittlung in Deutschland, insbesondere vor dem Hintergrund einer flächendeckend entstehenden Ganztagsschule. Dadurch verschärft sich meines Erachtens die Frage nach den möglichen Formen einer zukünftigen schulischen Filmvermittlung. Versteht man die Ganztagsschule nicht nur als rein zeitliche Ausdehnung der Beschulung, sondern auch als sich qualitativ und strukturell verändernde Schulform, dann stellt sich doch sofort die Frage nach dem Wie neuer Lern- und Schulkultur. In dieser strukturellen Offenheit der Ganztagsschule liegen Chancen für eine ästhetische Filmvermittlung, die spezieller Vermittlungsformen bedarf, die nicht selten außerhalb der üblichen Stundentaktung des Schultages liegen. Museums- und Kinobesuche, Praxisprojekte und Filmwerkstätten sind nicht nur erfahrungsgemäß hoch motivierend für die Schüler, sondern auch sehr zeitaufwendig. Zudem braucht die Einbeziehung von außerschulischen ‚ÄûExperten« wie Filmemachern, Kinobetreibern, Schauspielern und Lernorten wie Museen, Kinematheken und Kinos ein Höchstmaß an Vermittlungskompetenz und viel Vor- und Nachbereitung, die in erster Linie auf die Lehrer zukommt, die zwischen den Ansprüchen der Schüler und den ‚ÄûExperten« moderieren müssen.
2. Methoden der Filmvermittlung
In der Vielfalt der institutionellen Umgangsweisen mit Film knüpfte sich im Laufe des Symposiums ein ebenso vielfältig verknotetes Gewebe methodischer Ansätze seiner Vermittlung. An den Knotenpunkten der einzelnen Ansätze entstand der Film als hybrider, ästhetischer Komplex. Darin, den Film als ein solches hybrides Gebilde wahr- und ernst zu nehmen besteht meines Erachtens die größte Herausforderung für die Filmvermittlung. Die komplexe Medialität des Films ist unterbestimmt, wenn man sie lediglich auf ihre technischen Bedingungen, auf ihre Sprachlichkeit bzw. Textualität, ihre Bildlichkeit, Theatralität oder auch ihre Tonalität und Musikalität eng führen würde. Die zentrale didaktische Frage nach dem Filmverständnis (Was ist Film?) wurde innerhalb und im Anschluß vieler Vorträge implizit oder explizit (mit)diskutiert.¬†Dies scheint auch an der Zeit, wird doch bis heute in filmpädagogischen Konzepten mit Schlagworten wie media literacy oder auch Film- bzw. Medienkompetenz¬†der Film unter Rückgriff auf strukturalistische und semiotische Filmtheorien vor dem Hintergrund eines Textparadigmas gelesen und interpretiert.¬†Der Film wird dabei auf seinen sichtbaren Inhalt, auf seine dramaturgischen und narrativen Strukturen oder auf seine technischen Bedingungen reduziert.
Diesen theoretischen Zugängen entgehen wiederum bedeutende Dimensionen der Medialität des Films und seiner Erfahrung mittels der unterschiedlichsten Aufführungsdispositive, welche von postsemiologischen Filmtheorien seit den 1990er Jahren mit Nachdruck diskutiert werden. Hierzu zählen die Filmerfahrung als ästhetische¬†Erfahrung, die Körperlichkeit, Materialität des Films ebenso wie die Bedeutung der Körper der Zuschauer, bzw. die Zuschauerschaft insgesamt,¬†die Bedeutung der Musik und des Sounds, die Bedeutung der Performativität und die Ereignishaftigkeit des Films.
In dieser thematischen Linie finden sich Berührungspunkte zum 13. Bremer Filmsymposium, das unter dem Titel „Wort und Fleisch“ das Kino, den Film im Spannungsfeld zwischen Textualität und Körperlichkeit diskutierte. Die Ergebnisse sind nachzulesen in dem 2008 im Bertz-Verlag erschienenen Band „Wort und Fleisch. Kino zwischen Text und Körper.“ und in einer Online-Publikation des elektronischen Magazins „Nach dem Film“.
3. Filmvermittlung und individuelle Bildung
Diese thematische Ausrichtung des Symposiums wurde im Vergleich zu den beiden anderen am oberflächlichsten diskutiert. Das mag auch daran gelegen haben, dass keiner der Redner aus bildungstheoretischer Perspektive über den Film und seine Vermittlung sprach. Trotzdem ergaben sich für mich aus den geführten Diskussionen Anschlussmöglichkeiten für eine bildungstheoretische Erforschung des Films und seiner unterstellten bildenden Wirkung. Filmtheoretische Fragen, welche die Ereignishaftigkeit des Films adressieren und ihre Möglichkeit/Grenzen der sprachlichen Darstellung, berühren sich mit zentralen Themen des aktuellen bildungstheoretischen Diskurses. Dieser thematisiert¬†die Medialität der Medien unter dem Schlagwort der Alterität. Alterität, als Denken eines strukturellen Anderen, problematisiert die theoretische Bestimmung eines aktiven, reflexiv-erkennenden individuellen Subjekts. Die Bezugnahmen des Subjekts zur Welt und zu sich selbst vom Anderen her zu denken, betont vielmehr die Passivität, die Sinn- und Leiblichkeit eines antwortenden Subjekts. Diese wird aber nicht in dichotome Stellung zu Konzepten der Autonomie gebracht, sondern als ineinander verschlungene, ununterscheidbare Konstellationen von Selbst- und Fremdbestimmung, von aktiver und passiver Synthesis, letztlich als ein Zwischen von Subjekt und Objekt gedacht.¬†
Diese Einsicht, das Subjekt der Bildung¬†betreffend,¬†bedeutet in radikalster Weise, dass Subjektivität nicht ohne eine konstitutive Medialität zu denken ist. Für das moderne, poststrukturalistisch geprägte Denken ist Subjektivität nichts natürlich oder metaphysisch Gegebenes, sondern etwas, das sich in einem komplexen, mediatisierten Verhältnis zum ihr Anderen konstituiert. Subjektivität kann nur in Bezug auf und durch Medien in Erscheinung treten und thematisch werden. Medien wie der Film werden in dieser Perspektive als Formen einer Dazwischenkunft thematisierbar, die epochale Einschnitte in der Gesellschaft, der Kultur und in der Kunst markieren und diese mit neuen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsformen bereichern. Medien sind damit nicht länger als Werkzeuge für vorgängige Ziele und Handlungen eines kreativen, autonomen Subjekts zu verstehen. Sie sind vielmehr Zwischeninstanzen, welche die Bildung des Subjekts, die Erfahrungen von Welt und Selbst allererst ermöglichen. Aber damit ist jeder identifizierende Bezug auf Welt und Selbst gleichsam Entzug von Identität, da die Medialität zwischen Subjekt und Welt tritt, als etwas, das dem Subjekt vorausgeht, es dezentriert und formiert. Dessen Welt- und Selbstverhältnisse sind damit nur als eine Auslegung im medialen Anderen, den es immer wieder verkennt, denkbar.
Eine umfassende, bildungstheoretisch inspirierte Erforschung solcher zwar paradoxaler aber produktiver Momente am Film steht bisher noch aus. Sie wird von der Frage ausgehen müssen, welche Konsequenzen die Berücksichtigung der zuvor skizzierten Medialität für die Bestimmung des Films und seiner¬†Erfahrung ‚Äì als eine Form der ästhetischen Erfahrung des sich bildenden Subjekts ‚Äì hat und damit für die Idee individueller Bildung, und darüber hinaus für das moderne Selbstverständnis individueller Subjektivität.
Ein solches kulturtheoretische Verständnis von Bildungsprozessen des Subjekts in Bezug auf Medien kann Bildung nicht länger im Sinne einer Instrumentalisierung oder gar Beherrschung von Medien als ‚ÄûBewußt-umgehen-können-mit« oder ‚ÄûVerfügen-können-über« unterschiedliche Medien denken, sondern vielmehr als die Bildung des Subjekts in medialen Formierungen, die dem Subjekt nicht oder nur zum Teil bewusst sind, bzw. zur Verfügung stehen.
Das Verhältnis von Subjekt, Film und Bildung kulturtheoretisch zu thematisieren hieße dann – auch im Hinblick auf geeignete Formen seiner Vermittlung – ¬†nach dem Einfluss der audiovisuellen Filmbilder und der kulturellen Praxis Kino für die individuelle Bildung des Subjekts zu fragen.