Der Zwang zu sprechen: Mulholland Dr.

Was bringt uns zum Sprechen über Film?¬†Ed Howard, amerikanischer Film-Blogger, verweist am Beispiel von David Lynchs Mullholland Drive¬†auf die Östhetik, die spezifische Bildlichkeit des Films, die uns die Augen aufschlagen lässt und die Macht besitzt, uns die Welt anders sehen zu lassen, ohne das wir genau benennen könnten, wie sie das tue:¬†

„David Lynch is a filmmaker who has haunted my mind since the first moment I saw one of his films. This is especially true of¬†Mulholland Dr.¬†I vividly remember my confused, stunned reactions the first time I saw this film. It was in the afternoon, and when I stumbled outside afterward, into bright daylight, everything looked strange, somehow subtly changed. I’d spent over two hours in Lynch’s world, and in the time I’d been lost there it was as though the real world had been infected with Lynch’s unsettling aesthetic. It was a unique experience. I can’t remember another film that shook me up and destabilized me so thoroughly, and I’ve returned to it, and to Lynch’s work in general, compulsively ever since.“

Lynchs Filmbilder haben etwas mit ihm gemacht, seinen Blick auf die Welt, seinen Bezug zu ihr und damit auch zu sich selbst verändert – bemerkt er nachträglich. Während der Film-Erfahrung von Mulholland Drive ist er auf unmerkliche Weise ein Anderer geworden. Man könnte auch, etwas radikaler, sagen: er wurde subjektiviert, wurde im Blick des Films einem anderen System von Wahrheit/Schönheit/Gewissheit unterworfen. Das Bemerken der Differenz von vorher und nachher entdeckt in der Film-Erfahrung ein Moment von Verführung.¬†

Dieses angesprochene Moment der Verführung zeigt auf das Suggestive jeder¬†mediatisierten Erfahrung. Das Suggestive¬†ist das, was uns beim Betrachten von Filmen weinen läßt, mitleiden läßt,¬†was unsere Stimmung hebt oder uns in Spannungszustände versetzt. Es hat¬†uns erreicht, bevor wir es wahrnehmen.¬†In dieser Perspektive¬†werden Medien und deren Bilder zu¬†Bildnern der Ich-Funktion. Sie grundieren, strukturieren und formieren den ästhetischen Erfahrungsprozess¬†eines eher passiven, antwortenden Subjekts.
Filme, wie beispielsweise Mulholland Drive können den Zuschauer einer Situation aussetzen, in der er sich im Bezug¬†auf das Andere seiner selbst, die Medialität seiner Erfahrungsordnungen¬†und Seinsweisen, erfahren kann.¬†Diese Filme produzieren Bilder, die das¬†zuschauende Ich an den Stellen anblicken, wo es¬†montiert,¬†also nicht identisch ist. Sie bringen Bilder hervor, an denen die Identität¬†des Zuschauers als Effekt medialer, symbolisch-imaginärer Identifikationen thematisierbar¬†wird.

Der suggestiven Destabilisierung scheinbar gefestigter Welt- und Selbstverhältnisse, wie sie Ed Howard zuvor beschreibt, geht er selbst nach und kommt auf „zwanghafte“ Weise immer wieder zurück Lynchs Filmen. Möglicherweise auch um die Bilder, die seinen „Kopf“, sein Denken wie Geister immer und immer wieder¬†heimsuchen, zu beruhigen, sie vorerst begrifflich in Ketten zu legen.

Dieses Bemühen führt zu äußerst lesenswerten Ergebnissen, wie jüngst das Gespräch mit¬†Jason Bellamy, das unter dem Titel The Conversations: Mulholland Dr. auf dem Filmblog The House next Door veröffentlicht wurde.