Die Ansagerinnen fehlen!

Am 28.11.08 veröffentlichte die taz ein Gespräch zwischen David Denk und Christian Petzold „über das Fernsehen im Vergleich zum Kino, Filmerziehung, den eigenen TV-Konsum und die aktuelle Qualitätsdebatte“.¬†Die Gedanken zur spezifischen Medialität des Fernsehens und des Kinos sind zwar nicht neu, aber so lesenwert, dass es das Interview an dieser Stelle vollständig zu lesen gibt:¬†

taz: Herr Petzold, am Freitag läuft Ihr Film „Gespenster“ zum ersten Mal im Fernsehen. Was bedeutet Ihnen das?

Christian Petzold:¬†Ich finde, es gehört zum Reichtum des Fernsehens dazu, dass auch mal ein Film wie meiner da läuft. Das ist selten genug der Fall. Wer wie ich aus einer westdeutschen Kleinstadt ohne Kino stammt, hat das Kino vor allem durch das Fernsehen kennen gelernt und wahrgenommen – etwa durch die Filmreihen „Die schwarze Serie“ oder „Das Europa der weißen Telefone“ über das Melodram. Doch die Verslottung des öffentlich-rechtlichen Programms – also das starre Sendeschema am Abend – hat dazu geführt, dass das Kino dort keinen Ort mehr findet. Das Privatfernsehen hat diese Slots zwar nicht, spielt aber sowieso nur die Filme, die man auch bei Schlecker an der Kasse kaufen kann.

Was haben Sie gegen Blockbuster?

Nichts. Nur wird durch die einseitige Filmauswahl das Kinoverständnis verengt: Das Kino ist eben nicht nur Abspielstation für Kassenschlager, sondern der Ort, an dem das Gemeinwesen, in dem wir uns bewegen, durchleuchtet und bearbeitet, durchsucht und hinterfragt wird.

Ist „Gespenster“ im Fernsehen genauso gut wie im Kino?

Ich glaube, dass die Umgebung, in der man einen Film sieht, genauso wichtig ist wie der Film selbst. Wenn ein Film flankiert ist von den „Tagesthemen“ und dem „Nachtjournal“, ist das ein anderer Film, als wenn der Abend mit einer Busfahrt zum Kino beginnt und mit einem Getränk in einer Bar endet…

Werden Sie einschalten?

Ja, aber nur kurz. Ich weiß von Kollegen, dass die das genauso machen.

Warum?

Genau wie man auch bei Kinopremieren in den ersten zwei Minuten im Saal bleibt, um zu kontrollieren, ob der Ton stimmt und die Schärfe richtig eingestellt ist, guckt man auch in der Anonymität der 35 Fernsehprogramme kurz rein, ob es dem Kind gut geht – obwohl es ja leider gar keine Ansagerin mehr gibt, die vorher was zum Film erzählt. Die Ansagerinnen fehlen.

Warum?

Nicht weil ich wie wahrscheinlich alle Jungs mit 13 in Petra Schürmann verliebt war, sondern weil durch das Fehlen der Ansagerinnen die Programme überlappen. Heute wird der Abspann eines Films in die Bildschirmecke geschoben und gleich auf die folgende Sendung hingewiesen. Früher hat die Ansagerin die Programme voneinander getrennt. Das gefiel mir als Setzung. Man hätte stattdessen auch zehn Sekunden Schwarzbild senden oder einen Stummfilmtitel einblenden können.

Was waren Ihre Lieblingssendungen als Kind?

Die berühmten Weihnachtsvierteiler natürlich – „Lederstrumpf“, „Der Seewolf“, „Huckleberry Finn“ -, aber auch japanische Serien wie „S.R.I. und die unheimlichen Fälle“, die mit dem Kino korrespondierten und mein Faible für eine Art Kino begründeten, das bei Arte „Trash“ genannt wird. Auch eine Jack-Arnold-Retro hat mich sehr beeindruckt. Jeden Samstag, 20 Wochen lang, nach dem „Wort zum Sonntag“ – heute unvorstellbar. Da wird man erzogen im besten Sinne, gebildet.

Was gucken Ihre Kinder?

Im Fernsehen regelmäßig eigentlich nur „Türkisch für Anfänger“, die wohl beste deutsche Serie im Moment – ansonsten ganz viele Filme auf DVD oder im Kino. Ich zeige ihnen Filme, die mich als Kind und Jugendlicher beeindruckt haben, aber sie dürfen natürlich auch Vorschläge machen – auch wenn man dann manchmal in entsetzlichen Schwachsinn wie „Die Chroniken von Narnia“ gerät.

Und Sie selbst, sehen Sie überhaupt noch fern?

Ganz wenig. Ich kenne auch kaum noch Leute, die viel fernsehen. Außer „Türkisch für Anfänger“ gucke ich fast jede Woche den „Tatort“ und manchmal auch noch die Fernsehfilme von ARD und ZDF – allerdings nur wenn der Sendetermin nicht mit der Champions League kollidiert.

Warum haben Sie mit „Toter Mann“ und „Wolfsburg“ zwei Fernsehfilme gedreht?

Das hatte ganz persönliche Gründe. Damals arbeiteten in der Redaktion des ZDF-Fernsehfilms der Woche Leute, die eine sehr, sehr angenehme, kreative Atmosphäre geschaffen haben. Außerdem hatte ich mit „Die innere Sicherheit“ gerade eine Finanzierungstragödie hinter mir und habe es daher sehr genossen, einen Film pro Jahr zu drehen, und dann auch noch so reibungslos: Ich konnte genauso drehen wie fürs Kino, mit dem gleichen Etat, der gleichen Drehzeit, und selbst den Director’s Cut hat die Produktionsfirma Teamworx mir zugestanden.

Trotzdem haben Sie danach nicht mehr fürs TV gearbeitet.

Weil ich finde, dass meine Filme zuerst ins Kino gehören, weil sie aus dem Kinoraum gedacht sind.

Können Sie mit der TV-Schelte von Marcel ‚Ķ

Nein, überhaupt nichts. In der¬†Süddeutschen¬†las ich den tollen Satz: „Dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen hätte nichts Besseres passieren können, als von jemandem kritisiert zu werden, der von Fernsehen keine Ahnung hat.“ Was mir nicht gefällt, ist, dass in der Diskussion um Qualität im Fernsehen immer auf die Kulturmagazine verwiesen wird. Dieses Feigenblatt braucht doch kein Mensch. Kultur muss doch nicht im Magazin stattfinden, sondern sollte tagtägliche Arbeit im Fernsehen sein. Für mich müssen die Serien gut sein, die Reportagen und Politmagazine – dass man denen Sendezeit weggenommen hat, ist skandalös.

CHRISTIAN PETZOLD¬†(48), geboren in Hilden, NRW, lebt seit 1981 in Berlin, wo er an der Deutschen Film- und Fernsehakademie (dffb) studierte. Nach einigen TV-Produktionen wurde er 2000 mit „Die innere Sicherheit“ bekannt. Am 8. Januar 2009 kommt sein neuer Film „Jerichow“ ins Kino.