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Kunst & Kunsttheorie

Abstract

Poesie klingt klebrig; woran liegt das? Diskurskonform wären eher Begriffe wie Poiesis, notfalls Poetik, die aus der gleichen Wurzel mal übersetzt, mal übertragen werden: Es geht darin um die Grundgeste des Herstellens, aber auch, was weniger bekannt ist, des Annehmens: als Kind und als Bürger. Nicht zuletzt enthält das griechische poi- ein fragendes, in die Zukunft gerichtetes „Wohin?“, das bereits in der romantischen Idee einer progressiven Universalpoesie mitschwingt – an die sich kaum noch jemand erinnert. Das Über/setzen von einem Terrain auf ein anderes, das Übertragen (eine pädagogische Leistung) und das Weiterdenken über die Grenzen der Medien hinweg war darin angelegt. – Wer Übersetzungsarbeiten nicht selbst verrichtet, fügt sich allzu leicht den hegemonialen Ansprüchen anderer, denn Sprachen sind Herrschaftsinstrumente.

Kunstpädagog_innen leisten in ihrer täglichen Arbeit bewusst und unbewusst Übersetzungsarbeit zwischen Worten und Taten, die Bilder sein können; das Potential (ein abgedroschener technokratischer Begriff) und die romantische Potenz dieser Tätigkeit bleiben häufig Desiderat (desire, ein Wunsch und Begehren). Poesie wäre demgegenüber die ungezogene Schaffung konjunktiver Räume. Im Sinne einer philologisch-kritischen Kunstpädagogik wird sie in diesem Vortrag mit verwandten Begriffen an der Wurzel gepackt, ungehorsam übersetzt, auf ihren Gebrauch in Fachgeschichte und aktuellen Diskursen befragt und mit Blick auf die Ermöglichung ästhetischer Mentalität in Gegenwart und Zukunft untersucht.

Info

Christina Griebel, Prof. Dr. phil., *1973, Studium der Malerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe bei Horst Antes; Studium der Germanistik an der Universität Karlsruhe; Promotion „Kreative Akte. Fallstudien zur ästhetischen Praxis vor der Kunst“. 2008-2015 Professorin für Kunst und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, 2011-2014 abgeordnet an die Universität der Künste Berlin, seit 2015 Professorin für Kunstdidaktik und Bildungswissenschaften an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe. Seit 2001 literarische Veröffentlichungen und Auszeichnungen. Forschungsschwerpunkte (Auswahl): Narrative Formate künstlerischer Bildung; Theorie und Praxis des Essays, Kritische Kunstvermittlung in Hochschule und Museum.