Liebe in Zeiten der Selbstoptimierung. Theoretische Ansätze und künstlerische Positionen. Ein Lektüreseminar (Aurora Rodonò)
Jenseits einer romantischen Liebessemantik, wie man sie aus der Literatur, dem Film und den zahlreichen Love Songs kennt, nahm das Seminar die Produktion von Gefühlen in den Blick und untersuchte die Liebe als soziale und kulturelle Praxis. Ausgangspunkt waren hier die theoretischen Positionen etwa von Alain Badiou (“Lob der Liebe”), Erich Fromm („Die Kunst des Liebens“), Eva Illouz („Der Konsum der Romantik“ und „Gefühle in Zeiten des Kapitalismus“) oder Byung-Chul Han, dessen Buch „Agonie des Eros“ im Fokus des Seminars stand. Vor dem Hintergrund einer Ökonomisierung der Gefühle im Zeitalter des Kapitalismus wurde untersucht, wie sich Liebeskonfigurationen im 20. Jahrhundert verändern und welche Transformationen von Liebe die Digitalisierung mit sich bringt. Neben den theoretischen Ansätzen wurden Bilder der Liebe in den Künsten und insbesondere im Film reflektiert und das Verhältnis von Liebe und Politik befragt. Die Workshopteilnehmer*innen gingen der Frage nach, inwieweit die Liebe als revolutionäre und widerständige Kraft gegen das neoliberale Selbstoptimierungsdiktat fungieren kann und welche Analogien und Wechselwirkungen sich zwischen der „Kunst des Liebens“ und einer künstlerischen bzw. kunstpädagogischen Praxis beobachten lassen und entwickelten aus ihren Fragen und Erkenntnissen eine literarische Rauminstallation.
Eindrücke, Gedanken und weiterführende Arbeiten der workshopteilnehmer*innen:
Der Konsum der Romantik von Anna Chrestel
Vorwort
Liebe ist ein – so scheint es – unerklärliches Phänomen. Dennoch nähert sich die israelische Soziologin mit einer sachlichen Vorangehensweise diesem Thema an.
Nachdem in dem Lektüreworkshop im Rahmen der Springschool “how to love?” der nicht zu begreifende und nicht zu verstehende Charakter der Liebe am Ende immer klarer wurde, liegt nun der Fokus auf der für das Seminar zu lesenden Lektüre von Eva Illouz „Der Konsum der Romantik: Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus“ Seite 25 bis 41 und „Gefühle in Zeiten des Kapitalismus“ Seite 113 bis 159. Anstatt wagen Annahmen nachzugehen, ist hier die Intention von Eva Illouz, Liebe als ein beobachtbares Handlungsgeschehen wahrzunehmen. Diese Perspektive erscheint mir besonders spannend, auch wenn Eva Illouz ausschließlich die romantische Liebe untersucht und ihr Augenmerk auf der Frage liegt, wie sich einerseits die Beziehung zwischen der romantischen Liebe und andererseits der Kultur und den Klassenverhältnissen des Spätkapitalismus zeigt.
In dem Workshop 2 im Rahmen der Springschool “how to love?” wurde das Phänomen Liebe aus zahlreichen Perspektiven beleuchtet. In den Diskussionsrunden ist mir klar geworden, dass jeder sehr persönliche Erfahrungen mit Liebe gemacht hat und dementsprechend auch unterschiedliche Meinungen und Auffassungen von Liebe vertreten werden. Beispielsweise streben einige SeminarteilnehmerInnen eine Eheschließung an und andere wiederum stellen das in Frage. Beim Einbeziehen anderer Literatur kamen ebenfalls andere Meinungen, Auffassungen und Herangehensweisen mit Liebe auf. Wie beispielsweise die Mutterliebe oder Nächstenliebe, sowie die Liebe zu einer Tätigkeit wie dem Musizieren. Letztendlich zeichnete sich mehr und mehr ab, dass es für die Liebe keine exakte Definition gibt, die eine klare und eingrenzende Definition bereit hält.
Aus diesem Grund ist die Studie von Eva Illouz für mich überaus interessant, weil sie sich dem scheinbar nicht greifbaren Gegenstand der Liebe entgegen zu setzen versucht, indem sie mittels dem Einbeziehen von Interviews, Werbekampagnen, Frauenmagazinen und Ratgeberliteratur sowie Internet-Chats und Partnerbörsen, Filmen und klinischen Psychologen eine soziologiesche Vorangehensweise verfolgt.
Diese Arbeit enthält fünf Bilder zu ausgewählten Aspekten, die einige von Eva Illouz erwähnte Thematiken der Liebe aufgreifen.
Die ausgewählten Aspekte sind die Utopie, der Widerspruch: Arbeit und Hedonismus, die Mythologie, das Profil und das Produkt und abschließend die Ware und das Produkt.
Inspiriert durch den Fokus auf den Konsum, den Eva Illouz setzt, habe ich die folgenden Fotos in der Kölner Innenstadt aufgenommen. Ziel ist es, zu der von Illouz beschriebenen Liebe einen Bezug zum Alltag eines Konsumenten wieder zu finden.
Utopie
Eva Illouz erwähnt die Überschreitung als Aspekt der Utopie. Diese Schaufenster-Auslage, in der der Kauf reduzierter Kleidung mittels Schaufensterpuppen beworben wird, präsentiert für mein Empfinden eine Utopie. Die T-Shirts sind den Schaufensterpuppen nicht komplett übergestreift, sodass ihr weiblicher Oberkörper teilweise unbedeckt ist. Den Kontext betrachtend ist das Entblößen der – wenn auch unechten – Körper an dieser Stelle meiner Ansicht nach übertrieben, da es sich bloß um das Anwerben eines Preisnachlasses auf Kleidung handelt.
In der Lektüre wird gesagt, dass die utopische Liebe die Grundlage einer utopischen Vision bildet. Zudem wird “lieben” mit “überbewerten” gleichgesetzt. Hiermit ist das Ausstatten einer anderen Person mit zusätzlichen Werten gemeint. Außerdem stacheln die Prozesse der Idealisierung die Vorstellungskraft an. Ein Betrachter entwickelt beim Ansehen und beim Kauf gegebenenfalls Phantasien wenn er dieses Produkt kauft.
Das kommunistische Manifest von Marx und Engels hatte die Loslösung von Herrschafts- und Interessensbeziehungen als Ziel. Die israelische Soziologin Illouz nennt dies eine Utopie, die als Bedingung authentischer Beziehungen unter anderem eine Trennung von Ware und Gefühl impliziert.
Hier hat sich Eva Illouz die Frage gestellt, warum die romantische Liebe und die damit verbundenen Ideologien unsere kollektive Vorstellungskraft so im Griff haben. Die Antwort lautet hier von Illouz, dass die Liebe ein bevorzugter Ort für die utopische Erfahrung sei. Zudem wird die schon immer bestehende Annahme erwähnt, dass Liebe durch imaginäre Szenarien ausgelöst werde. Illouz stellt sich dieser allgemeinen Annahme entgegen. Laut Illouz werde die Vorstellungskraft oft durch Gesten oder etwas Reales ausgelöst. Daraus wird geschlussfolgert, dass unbedeutende, körperliche Gesten romantische Gefühle auslösen können und dies auch tun. Dies passiert, um präsent zu machen, was abwesend ist.
Widerspruch: Arbeit und Hedonismus
Es wird ein Widerspruch zwischen Arbeit und Hedonismus erwähnt. Nur in der Arbeiterklasse, die materiell nichts zu gewinnen oder verlieren habe, so heißt es hier, könne sich “wahre” romantische Liebe entwickeln. Das Arrangement dieser Portemonnaies, neben denen eine Sonnenbrille und ein Auto drapiert sind, ruft insgesamt eine Assoziation von Genuss und Überfluss auf. Die Müllmänner, die sich in der Schaufensterscheibe spiegeln, haben womöglich nicht die finanziellen Mittel um sich die ausgestellten Geldbörsen zu leisten.
Nach der Beobachtung von Daniel Bell widerspricht sich die Kultur des Kapitalismus. Sie verlange von den Menschen tagsüber zu arbeiten und nachts zu Hedonisten zu werden. Dies stellt einen kulturellen Widerspruch der Konsum- und der Produktionssphäre dar.
Mythologie
Das Foto zeigt die Spiegelung der Antoniterkirche im gläsernen “Weltstadthaus” von Peek & Cloppenburg in der Fußgängerzone Kölns. Laut Ilouz besteht in der romantischen Liebe eine hohe Affinität zur Erfahrung des Heiligen. Die Antoniterkirche scheint, umgeben von Geschäften und Cafés unterzugehen. Fast fällt sie zwischen den großen Gebäuden nicht auf. Stattdessen spielen die Einkaufsmöglichkeiten dort eine Rolle und werden eher wahrgenommen. Dass die Kirche in diesem Fall lediglich in einer Spiegelung sichtbar wird, lässt Raum für die Assoziation einer Verlagerung des Religiösen auf andere Bereiche, wie beispielsweise den Konsum. Dementsprechend wird von Durkheim erwähnt, dass er die Beobachtung gemacht hat, dass die Erfahrung des Heiligen nicht aus der Gesellschaft verschwunden sei, sondern dass sie aus der Sphäre der Religion in kulturelle Bereiche verlagert wurde.
Profil und Produkt
In “Gefühle in Zeiten des Kapitalismus” widmet sich Eva Illouz u.a. den Internet Profilen, die von Personen auf Plattformen angelegt werden, um online einen Partner zu finden. Zudem ist in “Konsum der Romantik” die Rede von Produkten, die einem Ideal entsprechen. Beispielsweise zählen hierzu das Ideal der Schönheit und der Fitness sowie “symbolische Schnappschüsse” z.B. in Funktion eines romantischen Schnappschusses.
In der hier fotografierten Schaufenster – Auslage repräsentieren die Frau, der Mann und die beiden Kinder eine glückliche Familie. Das hier beworbene Produkt verspricht dem Käufer mit diesem präsentierten Profil ein Gefühl von Gesundheit und Fitness und somit, wie es das Plakat sagt: ein besseres Leben (“better life”).
Mit Internet-Profilen versetzen sich Individuen in die Position von Leuten, die professionell als Models oder Schauspieler arbeiten. Die Internet-Profile und die Werbeindustrie stellen für mich eine Ähnlichkeit dar.
Eva Illouz stellt in ihrer Arbeit fest, dass das Ziel eines Internet-Profils eine bessere und authentischere Offenbarung des Selbst sein soll. Fragebögen solcher Partnerbörsen im Internet verlangen oft ein fotografisches Profil. Solch ein Profil solle mit etablierten Richtlinien für Schönheit und Fitness übereinstimmen. Hierbei ergeben sich Selbstdarstellungsmöglichkeiten entsprechend der eigenen Interessen, des Lebensstils u.v.m. Indem ein solches Profil angelegt wird, setzt sich jeder, der einen Partner auf diese Weise sucht, dem offenen Markt der Konkurrenz aus. Dies bedeutet eine Konfrontation des Selbst mit Widersprüchen. Einerseits soll eine tiefe Wendung nach innen stattfinden, mittels der man erfährt, wer man ist und was man von sich präsentieren möchte. Andererseits setzt man sich als Ware einem allgemeinen Publikum öffentlich aus. Für bestimmte Eindrücke, um z.B. anderen Personen zu gefallen, manipuliert man sein Profil. Der Arbeit von Eva Illouz ist zu entnehmen, dass diese Vorgehensweise der Konsumkultur und Medienindustrie entspricht.
Ware und Produkt
Eva Illouz formuliert die Frage, welche verschwiegenen Bedeutungen und Symbole unsere romantischen Erfahrungen bestimmen. Und warum sind es genau diese Bedeutungen und Symbole? Das hier abfotografierte Plakat der in Köln bekannten Liebesschlösser zeigt ein beliebtes Produkt, um auf der Hohenzollernbrücke die gemeinsame Partnerschaft mit einer geliebten Person zu symbolisieren.
Eva Illouz erwähnt in ihrer Arbeit, dass Ökonomie und Kultur einander bedingen. Demzufolge bezeichnet sie das durch Ökonomisierung geprägte Reich der Gefühle als emotionalen Kapitalismus. Die Liebesschlösser haben sich in Köln als ein Produkt etabliert, das mit Liebe assoziiert wird. Für Personen, denen diese Assoziation der Liebesschlösser in Köln bekannt ist, liegt es also nahe, solch ein Liebesschloss zu kaufen und es gemeinsam mit seiner oder seinem Geliebten an der Hohenzollernbrücke anzubringen.
Laut Illouz kann nach Adorno Zynismus in diesem Kontext so verstanden werden, dass Konsumenten Produkte der Werbung kaufen und nutzen, auch wenn sie die Werbung durchschauen. Dieses Durchschauen und Gehorchen ordnet Illouz der Zeit des Spätkapitalismus zu.
Liebe und die kleinen Dinge im Leben von Michelle Holz
„how to love“ oder besser „was ist Liebe?“ – Fragen, die auch nach Beendigung des Seminars nicht klar beantwortet werden können. Aber das ist gut so. Nach meiner Empfindung muss sich Liebe entwickeln, für jeden Menschen anders. Auch die Definition vom Lieben ist für jeden eine andere, jedoch wenn es sich richtig anfühlt, gibt es dabei kein richtig oder falsch. Meine Definition von Liebe bezieht sich stark auf die kleinen Dinge im Leben. Eine Erinnerung an etwas Gemeinsames, Gegenstände, wie wir Sie auch in die Seminare mitgebracht haben, oder einfach Aufmerksamkeiten, die der Partner mitbringt. Ich habe mich sowohl im Familien- als auch im Freundeskreis umgesehen und -gehört und kleine Gegenstände und Alltagssituationen fotografiert und dazu eine kurze Beschreibung verfasst. All die folgenden Gegenstände spiegeln nicht unbedingt die Beziehung wieder, aber die Liebe, die in ihr herrscht. Solche Gegenstände und Situationen machen die Liebe für mich greifbarer als es Worte und Definitionen machen können. Bezogen darauf, wie ich das Ganze ausstellen würde, stelle ich mir die Bilder im Hochformat vor. Das bietet sich hier für mich einfach an, da auch die gezeigten Gegenstände „gestreckter“ sind und ein Querformat diese einengenden würde. Das verschafft dem Ganzen, nach meinem empfinden, die Leichtigkeit der Gegenstände, die die Bilder ausrücken sollen. Des Weiteren würde ich die Kurztexte mittig unter das Bild hängen, sodass der Blick erst ungestört auf das Bild fällt und Platz für Interpretation gibt, bevor der erklärende Text ins Blickfeld tritt. Das Ganze in Farbe und größentechnisch im A3 Format.
– Der Adler –
Den Adler hat er mit in die Beziehung gebracht. Oft hat sie sich beklagt, dass dieses „Ding“ in der Gegend rum steht, nichts als Staub fängt und sich nicht in die Wohnung integrieren lässt. Drohungen, ihn ausversehen fallen zu lassen, hat sie doch nie erfüllt und egal wann man zu Besuch kam, der Adler stand immer gut sichtbar platziert im Raum. Warum? Weil sie weiß, dass ihm der Adler etwas bedeutet. Weil sie weiß, dass er sich freut, wenn sie den Adler abstaubt und neu anordnet. Warum akzeptiert man etwas, was manselbst schrecklich findet?
Liebe!
– Die Tassensammlung –
Ein älteres Pärchen. Sie sammelt leidenschaftlich Tassen in jeder Art, Farbe und Größe. Er ist ein Ordnungsfan und lebt lieber im Minimalismus. Oft regt er sich darüber auf, dass in den Schränken kein Platz ist und jeden Tag eine neue Tasse benutzt wird. Auf einer Reise durch den Norden entdeckte sie in einem Laden diese Tasse und hat sich nach langem Überlegen doch dagegen entschieden, um ihrem Mann mit ihrer Sammlung nicht zu sehr auf die Nerven zu gehen. Und er hat sie heimlich doch gekauft, weil er genau weiß, dass sie sich freuen wird und ihr anfänglicher Verzicht für ihn, von großer Bedeutung war. Warum unterstützt man eine Leidenschaft, die man doch eigentlich als lästig empfindet?
Liebe!
– Die Bohnendose-
Der erste gemeinsame Urlaub. Die erste richtige Zeit alleine und endlose Stunden zusammen. Nach der Heimkehr werden die Klamotten sortiert und die Sachen verstaut, das einzige Überbleibsel der Reise, das vor Ort gekauft wurde, eine Dose gebackene Bohnen. Erst landet sie im Schrank, dann wandert sie durch die Küche und heute steht sie ein ihrem Nachtschrank. Der erste Urlaub wurde in dieser Beziehung nie vergessen und durch Erzählungen und Geschichten ist diese Dose Bohnen so wichtig geworden, dass sie niemals gegessen werden soll und für immer ein Stück von diesem Urlaub ist. Warum bewahrt man Lebensmittel auf, an die Erinnerungen gebunden sind?
Liebe!
– Das Rezept –
An jedem Geburtstag hat ihre Großmutter ihr diese Torte gebacken. Jedes Jahr und schon immer die Gleiche. Egal ob es ihr gesundheitlich schlecht ging oder eine Entfernung zwischen ihnen lag, man konnte darauf wetten, dass sie an ihrem Geburtstag diese Torte bekam. Dann folgte ihr Auszug und als Geschenk gab es von ihrer Großmutter diesen Bilderrahmen als Geschenk. In ihm das Rezept für die besagte Torte. Nun, da ihre Großmutter verstorben ist, hat er nur noch mehr Wert für sie und ist nicht aus ihrem Leben zu denken. Sie selbst backt diese Torte jedes Jahr und hat keine bessere Erinnerung an ihre Großmutter als durch diesen Bilderrahmen.
Wie kann ein Bilderrahmen eine Person wiederspiegeln?
Liebe!
– Das Foto –
Sie leben beide eine halbe Weltreise voneinander entfernt. Beim letzten gemeinsamen Tag entstand dieses Foto, das nun bei ihr zuhause steht. Er hat es ihr geschickt. Der Rahmen wurde in seinem Land gefertigt und hat allein deshalb eine Bedeutung für sie. Jedoch erinnert sie auch das Bild daran, dass selbst wenn sie gerade alleine ist, sie eine zweite Hälfte hat. Sie wird bei jedem Blick aufs Bild daran erinnert, dass er noch da ist, auch wenn sie ihn gerade nicht sehen kann. Ihn bildlich vor sich zu haben, macht ihn für sie greifbarer als es eine Erinnerung machen kann.
Warum halten wir Momente fest und drucken sie aus, statt einfach in Erinnerung an sie zu leben?
Liebe!
what is love von Marlene Ehren