Die Theorie eines verkörperten Geistes lässt sich als Sammelthese der Verkörperungsansätze und als Fundament der übrigen drei Es begreifen. Zurückgehend auf das Standardwerk von Francisco Varela, Evan Thompson und Eleanor Rosch The Embodied Mind: Cognitive Science and Human Experience (1991) meint Verkörperung eine Gegenposition zum reduktionistischen, körpervergessenen Computermodell des Geistes und den daraus entwickelten kognitiven Systemen (z.B. schachspielende Robotern), die sich mit ihrer ,Intelligenz‘ auf ein fest vorgegebenes Regelwerk innerhalb begrenzter und kontrollierter Rahmenbedingungen beziehen. Dahingehen behaupten die Verkörperungsphilosoph*innen:
[A]uch die einfachsten kognitiven Tätigkeiten [setzen] eine schier unendliche Menge an Wissen voraus […], was wir einfach als gegeben hinnehmen (es ist für uns dermaßen offensichtlich, dass es sozusagen unsichtbar bleibt), mit dem ein Computer aber erst häppchenweise gefüttert werden muss (Varela et al. 2017[1991]: 294).
Zielgerichtete Bewegungen von Lebewesen in ihrer Umwelt hängen, wie Varela et al. betonen, von „erworbenen motorischen Fähigkeiten“ und einer „kontinuierlichen Inanspruchnahme von Common-Sense- oder Hintergrundwissen ab – vom entsprechenden ,Wissen-wie‘“ (ebd.). Dieses Wissen-wie könne nicht in explizites, propositionales Wissen-dass übersetzt werden, stelle aber „das Wesen schöpferischer Kognition“ dar (ebd.: 295). Wenn die Autoren also davon sprechen, dass mentale Prozesse von einem Common-Sense oder Wissen-wie hervorgebracht werden, folgen sie damit (übrigens auch explizit) der phänomenologischen Denkrichtung eines bedeutungshervorbringenden „In-der-Welt-Seins“ oder „Zur-Welt-Seins“ ebenso wie dem vom Pragmatismus hervorgehobenen Primat eines praktischen, impliziten Wissens vor mentalen Repräsentationen und Prädiktionen. Mehr noch:
Wenn wir zugeben müssen, dass die Kognition ohne Common Sense unverständlich ist und dass Common Sense nichts anderes als unsere Körper- und Sozialgeschichte meint, dann lautet der unvermeidliche Schluss, dass die Beziehung zwischen Erkennenden und Erkanntem, zwischen Geist und Welt, eine Beziehung der gegenseitigen Bestimmungen oder der Gleichursprünglichkeit ist (ebd.: 298).
Das meint zum einen: Ohne Körper, ohne umweltgebundene Beziehungen, ohne Zur-Welt-Sein, keine Kognition. Und es meint auch: Anders verkörperte Akteur*innen, bringen andere mentale Prozesse (Zustände) und damit andere Erkenntnisse hervor. Damit widerlegen die Verkörperungsphilosoph*innen die zentrale Trennbarkeitsthese, d.h. die Annahme einer „multiplen Realisierbarkeit“ im klassischen funktionalistischen Modell des Geistes [1]: Diese besagt, dass von den mentalen Zuständen eines*r Akteur*in unmöglich auf deren*dessen körperliche Eigenschaften geschlossen werden könne (vgl. Fingerhut et al. 2017: 79). Ein menschlicher Geist könnte gemäß einer starken Form der Trennbarkeitsthese in ganz unterschiedlich gearteten Körpern – und damit beispielsweise auch in Maschinen – wohnen. Demgegenüber vertreten die (meisten) Verkörperungsphilosoph*innen eine mentale Einschränkungsthese, die eben dieser Realisierung Grenzen setzt (vgl. Shapiro 2004: 23 f.).
So zeigt beispielsweise die verhaltensbasierte Robotik und KI-Forschung, wie der Informatiker und Kognitionswissenschaftler Rodney Brooks ausführt, dass künstliche Systeme bis dato zu keinen menschenähnlichen Verhaltens- und Denkweisen (wie etwa Abstraktion oder räumlichem Vorstellungsvermögen) fähig sind, da diese, so das Argument, spezifische körpergebundene Eigenschaften voraussetzen. „Der einzige Input der meisten KI-Programme ist“, wie Brooks schreibt, „eine begrenzte Menge einfacher Aussagen, die von Menschen aus den realen Daten abgeleitet werden“ (Brooks 2017: 150). „Tatsächliche Intelligenz“ hingegen sei nach seiner Auffassung nicht programmierbar, sondern an sensomotorische Fähigkeiten wie Beweglichkeit, Sehen und Interaktionsbereitschaft gebunden – ohne diese verkörperten Handlungen gäbe es keine Abstraktion, und ohne Abstraktion keine (künstliche) Intelligenz (vgl. ebd.: 146). Somit sind Kognition und Intelligenz für die Verkörperungstheoretiker*innen immer (!) in ein komplexes Beziehungsgefüge zwischen lebendigen und nichtlebendigen Entitäten, zwischen Organismus und Umwelt, eingebunden oder eingebettet – das Mentale (,der Geist‘) funktioniert also nicht unabhängig von einer materiellen Basis oder zumindest einem materiellen Hintergrund (,dem Körper‘). Wie wir uns diese kognitiven Interaktionen genauer vorstellen können, werden wir in den weiteren drei E‘s sehen.
Anmerkungen
[1] Der Funktionalismus ist das gegenwärtig wohl am stärksten verbreitete kognitive Paradigma. Es fußt auf zwei Grundsätzen: 1. Kognitive Zustände erfüllen eine kausale Rolle (,Funktion‘), 2. diese Funktionen werden repräsentiert und sind multipel realisierbar (vgl. Fingerhut et al. 2017: 65). Nach Auffassung des Computationalismus laufen diese funktionalistischen kognitiven Prozesse ,eingeklemmt‘ in einer computergleichen Input-Output-Maschine ab.