SEWICIDE
„Versprechen und anderes Versagen“, so der Titel des zweiten Spielfilms, an dem gerade gearbeitet wird. Heute im Regen eine Nähmaschine auf dem Seziertisch. Morgen ein Kleid für fatale Selbstgespräche. Übermorgen ein geschlachteter Schlafsack im Kirschblütenmeer. Bei Stephanie Müller aka rag*treasure und Klaus Erika Dietl treffen Bildende Kunst, Performance, Musik, Film und Sozialwissenschaften aufeinander. In künstlerischen Projekten, Fachaufsätzen und Lehraufträgen setzen sie sich mit Berührungsängsten auseinander, die am sozialen Austausch hindern. Im Fokus steht dabei vor allem die Doppelbödigkeit bürgerlicher Moralvorstellungen.
Draußen brummen Rasenmäher in E-Moll – sind die Urnen drinnen schon randvoll?
Ihre textilen Plastiken und Soundapparaturen versteht Stephanie als bespielbare Angriffsflächen. Mal tauchen sie in Videoarbeiten auf, werden zu performativen Requisiten oder fügen sich zu Rauminstallationen zusammen. Der MEDIENDIENST LEISTUNGSHÖLLE ist die Münchner Basis der umtriebigen Künstler*innen. Von dort aus suchen sie immer wieder den Austausch mit anderen, sei es mit Künstlerkolleg*innen, Wissenschaftler*innen oder sozialen Projekten – ganz egal, ob im In-, Hinter- oder Ausland. Seit 2006 arbeitet Stephanie mit Laura Melis Theis (Oxford, UK) zusammen. Gemeinsam haben die beiden das Musik- und Performanceprojekt beißpony gegründet. Nach ihrem Debut auf Chicks On Speed Records haben Laura und Stephanie Ende 2017 ihr aktuelles Album BEASTS AND LONERS auf dem hauseigenen Label RAGREC veröffentlicht.
Mit der brasilianischen Textilkünstlerin* Lisa Simpson aka Agente Costura ist Stephanie seit 2015 mit dem Soundkunst-Projekt A DUET OF AMPLIFIED SEWING MACHINES unterwegs: Melodien aus der Nähmaschine treffen auf Schlagzeugrhythmen. Es ist die Liebe zur Experimentalmusik und zur kritischen Auseinandersetzung mit den Auschluß- und Ausbeutungsmechanismen der Mode, die Lisa und Stephanie verbindet. Erst kürzlich waren die beiden mit ihren singenden Nähmaschinen in der Türkei und in Indonesien auf Tour. Im Austausch mit Klaus Erika Dietl entstehen die Bildwelten für Stephanie’s Kollaborationen. Bei der frisch gegründeten Performancegruppe OK DECAY mischt Klaus Erika neben Gülcan Turna (Eskişehir, Türkei) und Moni Kliche von der Veranstaltungsreihe QUEERTHING (Glockenbachwerkstatt, München) auch musikalisch mit. OK DECAY tauchen gerne unter – mitten ins Unbehagen. Dissonanzen kratzen an Sprachbarrieren. Der Mundschutz löst sich auf, der Bildschirm beginnt zu flimmern.
Konsequenterweise gibt es im MEDIENDIENST LEISTUNGSHÖLLE seit einiger Zeit auch RAGREC – ein Label für Störgeräusche in Text Bild und Ton. Die erste Veröffentlichung trägt den Titel ALLIGATOR GOZAIMASU, eine Platte mit Musiker*innen aus Japan, Südafrika, Hawaii und der Ukraine. Auch kleine magaZINEs finden sich im Sortiment, ein Folgealbum ist bereits in Arbeit und ein erster Spielfilm hat im Juli 2017 im Münchner Lenbachhaus Premiere gefeiert. Der Langfilm „Das Letzte Loch ist der Mund“ setzt sich mit der Sprachstruktur der Lüge im Amtsbetrieb auseinander. Neben filmischen Projekten erarbeiten Stephanie und Klaus Erika auch Hörspielmusik. Im September 2017 wurde ihre Komposition für Elfriede Jelinek’s Stück „Licht im Kasten“ im Bayerischen Rundfunk uraufgeführt.
Bei PATRIARCHY IS OVER performt Stephanie mit ihrem Experimental-Trash-Set SEWICIDE. Klaus Erika liefert die visuelle Bassline. Die beiden schätzen die Randnotizen und liefern zwischen Tür- und Angel Beihilfe zum Bankrott. Es entsteht ein schillernder Bild- und Soundstau – gemischte Waren im Durchlauferhitzer. Garantiert echt, falsch, weil echt.
24.05.2018 | 20 Uhr
AZ KÖLN
Luxemburgerstr. 93
50939 Köln