PRÄSENZ UNDER PRESSURE
Zusammensein probieren ?!
07.-11. Juni 2022 | SPRINGSCHOOL ARTS EDUCATION
Durch Druck, Wärme und Feuchtigkeit lässt sich das Gewebe von Wolle in eine andere, eine neue Form bringen.
Heißer Wasserdampf zerstört die Wasserstoffbrückenbindung der Eiweißmolekülketten in der Faser, die Gewebestruktur löst sich auf, eine Neuformung ist möglich. Beim Erkalten bilden sich die Wasserstoffbrücken neu
– die veränderte Form bleibt stabil.
Mit der Coronapandemie sind Räume, Formate, routinierte Handlungspraktiken in Bildungsinstitutionen wahrnehmbar in Bewegung geraten. Wenn etwas in seiner bekannten Form porös, in seinen Bestandteilen ein Stück weit aufgeweicht wird, welche (un)sichtbaren Strukturen, welche Bestandteile, welche tragenden oder untragbaren Verbindungen werden dabei sichtbar? Wo entsteht Reibung, wo verstärkt sich Druck, wo reißt es? Welche Infragestellungen werden nötig, welche Neuformungen möglich?
Welche Bedeutung trägt Präsenz in institutionellen Räumen, in denen temporäre Gemeinschaften gebildet, aufgelöst, neugeformt werden? Welche Spannungsverhältnisse, welche atmosphärischen Temperaturschwankungen wirken auf Körper in institutionellen Räumen? Was entsteht, wenn wir wieder gemeinsam an einem Ort sein können? Wie können machtkritische und differenzsensible (Raum)Positionen und Haltungen eingenommen werden? Wie lässt sich die konflikthafte Wirklichkeit in der Differenz zwischen Selbst und Anderen thematisieren und aushalten? Wo entstehen Verbindungen? Welche Leerstellen werden sichtbar?
Wie können wir anfällig und durchlässig für intersensorische und intermediale Erfahrungen werden? Wie reagieren unsere Körper aufeinander, wie unsere Herzen? Können wir Poröswerden einüben, um neue klebrige Verbindungen aus Haut, Haaren, Nerven, Schweiß, Dingen und Touchscreens zu erproben?
„Berühren erfordert immer eine Kraftregulierung. Nicht alle beherrschen sie. Manch einer zerquetscht mir die Hand, wenn er sie drückt! Die Berührung geht einher mit einer Ordnung, unter deren Gesetzen die Körper, nicht nur die menschlichen, in Kontakt miteinander sind. Wenn das Gefühl fehlt, kann ein Körper, wenn es ein lebendiger ist, durch eine Berührung sterben. Das Gegenteil der Zärtlichkeit ist die Verletzung.“ 1
In Bildungsinstitutionen müssen Experimentierräume für Begegnungen, Berührungen und Differenzerfahrungen machtkritisch und sorgend gestaltet und gestärkt werden, um individuelle, gemeinschaftliche und strukturelle Neuformungen anzuregen. Die Springschool rückt die fragilen Gewebestrukturen von Präsenz in institutionellen Räumen in den Fokus, forscht an und in der Wahrnehmung räumlich, zeitlich, körperlich, medial und dinglich vermittelter An- und Abwesenheit und den stärkenden, verletzlichen und politischen Dimensionen des Zusammen-Seins. In den sechs Workshops der Springschool eröffnen die eingeladenen Künstler:innen Räume für künstlerisch-performative Prozesse, gemeinschaftliche Erfahrungen und unvorhersehbare Wissensproduktion, deren Spuren zum Abschluss der Woche in einer Präsentation geteilt und sichtbar werden.
1) Jean-Luc Nancy im taz-Interview mit Astrid Kaminski (2020). Online: https://taz.de/Philosoph-ueber-den-Sinn-der-Beruehrung/!5687500/ [letzter Zugriff: 25.01.2022)