Digitaler Rundgang: PERFORMANCE TO CALL – Dokumentationen

Zu Zeiten des Lockdowns im Frühjahr 2020 entwickelten Studierende aus Kunst, Intermedia und Ästhetischer Erziehung im Seminar von Julia Dick und Jane Eschment partizipative Telefonspaziergänge zu selbstgewählten Themen.
Bei den abschließenden Präsentationen hat jede*r Student*in des Seminares pro Aufführung immer genau mit einem einzigen externen Gast telefoniert und diese*n durch die Mittel der eigenen Stimme, durch die jeweilige Erzählung und durch geschickte Interaktion auf eine bestimmte, vorbereitete, inszenierte und manchmal auch herausfordernde Route durch die Stadt geschickt und begleitet.
Da die künstlerischen Erzeugnisse je nur von wenigen Menschen erlebt wurden, haben sich nach den Aufführungen, manche Studierende darum bemüht, ihren Walk durch eine selbst gewählte Art der Dokumentation auch einem weiterem Publikum näher zu bringen. Die folgenden Dokumentationen versuchen mit den Mitteln von Film, Text oder Sprache einen Eindruck über den jeweiligen Walk zu vermitteln:

exit?! von Johanna van Aken

Eine kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Sein im Alltag
[vimeo 474453427 w=640 h=360]

son cevapsız aramalar: parallelgesellşaft?! von Burak Şengüler

das bild fällt in dein auge, weiße blicke, du erzählst mich, ich erzähle dich, störsignale: ich gehe durch dich hindurch: mehrschichtig: verschwommen, der raum zerfällt, feine unterschiede, speicher ist voll. bilder löschen?

Back to Next Nature von Moritz Angenendt

Gibt es so etwas wie Naturerfahrungen in einer durch und durch angelegten Umgebung? Oder gibt es sie nur noch nicht? Wie beeinflussen Architekturen, Zentauren, Cyborgs und meine Stimme in deinem Ohr die Wahrnehmung deiner Umgebung?

Sinnesreise von Lea Carlotta Miaskowski

Winde sehen – auf Zungen gehen
Töne spüren – Blicke führen
Düfte rühren – Sinne schüren

Im Folgenden werden die Texte die Carlotta Miaskowski verfasst hat, mittels derer sie die Kommunikation mit ihrem Zuschauergast geführt hat veröffentlicht:

Die Einladung per Mail:

Hallo …,
mein Name ist Carlotta und ich habe die Ehre, Dich am … um …durch meine Performance leiten zu dürfen. Gemeinsam mit Dir möchte ich versuchen, hinter die Oberfläche zu schauen und in die
Fassade zu hören, durch den Boden zu fühlen und Luftströme zu riechen.
Dein Startpunkt wird die rosa/silber-metallic Telefonzelle von der Telekom am Hans-Böckler- Platz/Bahnhof Süd sein, sie steht direkt neben der Bahnunterführung und dem Kulturclub „Zum
scheuen Reh“, nicht zu verfehlen. Während des gesamten Walks möchte ich Dich bitten, Dein Handy ausgeschaltet zu haben, denn wir werden nur über Telefonzellen miteinander in Kontakt treten.
Damit das Ganze funktioniert habe ich hinter der ersten Telefonzelle ein Buch und Kleingeld für dich versteckt, was Du gerne für den Walk an Dich nehmen darfst. Du wirst dich während des Walks von
einer Telefonzelle zur nächsten begeben und darfst mich dann jeweils von jeder Telefonzelle aus anrufen. An jeder Telefonzelle werde ich Dir eine Aufgabe stellen, wie Du den jeweils nächsten
Wegabschnitt bestreiten sollst. Wir werden während der einzelnen Strecken versuchen, uns immer auf einen unserer fünf Sinne zu konzentrieren. Du hast währenddessen oder danach ganz wie es Dir
beliebt die Möglichkeit, das Erlebte und Wahrgenommene in dem Buch festzuhalten. Einen Stift werde ich Dir auch bereitlegen.
Nun zur Nutzung der Telefonzellen: Wirf von dem Münzgeld aus dem Briefumschlag 1€ ein und wähle meine Nummer, die ich im Buch notiert habe. Fängt die Zeit während unseres Gesprächs an abzulaufen, wirf 50ct nach. Ist unser Gespräch beendet, hänge den
Hörer zurück auf die Telefongabel und Du wirst das nicht verbrauchte Geld zurückbekommen.
Da das Hören und das Sehen meistens unsere anderen Sinne beeinflussen, bitte ich Dich, Dir Ohropax oder Kopfhörer mitzunehmen, um wenigstens den Sinn des Hörens zu minimieren und dir die
Möglichkeit zu geben, dich besser auf die jeweils anderen Sinne einlassen zu können. Außerdem solltest Du vielleicht eine kleine Umhängetasche dabeihaben, wo Du das von mir Versteckte während
des Walks hineintun kannst und in der Du evtl. dein Desinfektionsmittel dabeihast. Schalte Dein Handy bitte aus.
Ich wünsche Dir viel Freude und neue außergewöhnliche Erfahrungen.

Winde sehen – auf Zungen gehen, Töne spüren – Blicke führen, Düfte rühren – Sinne schüren.

Der Mensch ist eine Sonne. Seine Sinne sindseine Planeten. (Novalis)

Der Walk beginnt: am Hans-Böckler-Platz
Hallo … kannst du mich hören? … wunderbar! Mein Name ist Carlotta und es freut mich, dass Du Dich heute mit mir gemeinsam auf eine Reise begeben möchtest – eine Reise für unsere Sinne. Wenn du gleich an der jeweils nächsten Telefonzelle angekommen bist, nimm dir jeweils ein paar Minuten Zeit, um deine gesammelten Eindrücke, Assoziationen oder Erinnerungsfetzen der Sinnesreise in das Buch zu schreiben. Wenn du fertig und bereit für die nächste Etappe bist, wähle meine Nummer. „Aus den Augen aus dem Sinn“ Begebe Dich jetzt gleich auf den Weg zur Telefonzelle Nummer 2. Hierbei möchte ich Dich bitten, Dich ganz auf Deinen Sinn des Sehens zu konzentrieren. Wenn du magst, kannst du dafür deine mitgebrachten Ohropax benutzen bzw. Kopfhörer aufsetzen, um den Sinn des Hörens zu minimieren und dir die Möglichkeit zu geben, dich ganz und gar dem Sehen hinzugeben. Achte dann jedoch bitte ganz besonders auf den Verkehr, durch die ungewohnte Einschränkung der Hörsinns ist es nicht ganz ungefährlich, also achtsam bleiben! Für deinen Weg mit den Augen möchte ich dir die folgenden Fragen & Impulse mitgeben: Welche Farben springen dich geradezu an? Und was ist völlig unscheinbar und hättest du im Alltag eigentlich komplett übersehen? Richte deinen Sinn auch mal auf das, was über dir liegt – was kannst du zum Beispiel hinter den Fenstern im fünften Stock ausmachen? Sammle mit deinem Blick Kuriositäten und Unscheinbares auf dem Weg zum Friesenplatz. Beobachte, wie sich deine Wahrnehmung verändert, wie sich dein Sehsinn langsam schärft und wo er Dich auf Deinem Weg zur nächsten Telefonzelle hinführt. Ich wünsche dir eine gute Reise und bis gleich.

Telefonzelle am Friesenplatz
„Immer der Nase nach“
Konzentriere Dich als nächstes bitte auf den Sinn des Riechens. WelcheWelche Gerüche nimmst Du wahr? Wo kommen die Gerüche her? Findest du ihren Ursprung? Was duftet und veranlasst Dich zu verweilen? Was stinkt und lässt Dich zügig weitergehen? Was es auch sein mag, mach es Dir zu jeder Zeit bewusst, was Dich wie und warum handeln lässt. Nimm es wahr, ohne es zu bewerten oder zu beurteilen. Lass dir dabei so viel Zeit wie du brauchst. Beobachte wie sich deine Wahrnehmung verändert und dich deine Nase durch die Straßen leitet. Gehe den Gerüchen nach, sei neugierig, wo sie dich hinführen. Und was deiner Nase auch begegnet, nimm es wahr, ohne zu bewerten und beobachte wie die Gerüche dich und dein Handeln verführen und beeinflussen.
Wenn Du möchtest, kannst Du auch weiterhin deine Ohropax in den Ohren lassen. Hohenzollernring/vor Filmpalast „Es hört doch jeder nur, was er versteht.“ (Goethe) Als nächstes möchte ich Dich bitten, Deine Wahrnehmung voll und ganz auf das Hören zu richten. Nimm also bitte für den nächsten Weg die Ohropax heraus bzw. die Kopfhörer ab. Beobachte wie sich deine Wahrnehmung verändert, wenn dich deine Ohren durch die Stadt leiten. Suche dir zu
Beginn einen Ort, wo du für einen Moment verweilen kannst, um die Augen zu schließen und dich ganz auf das Hören zu konzentrieren. Welche Geräusche nimmst du in deiner Umgebung wahr?
Hörst du einen Rhythmus der Stadt? Gibt es Unterschiede, wenn Du von einer Straße in die nächste gehst? Wo herrscht Ruhe und wo Lärm und Trubel? Vielleicht gehst du ja auch einmal in einen Laden
und hörst dort hinein? Fühle Dich frei einfach mal stehen zu bleiben oder Dir einen Sitzplatz zu suchen, die Augen zu schließen und nur zu hören. Versuche doch mal, an verschieden Wänden zu
lauschen, wenn du magst – was hörst du an einer Glasscheibe und was hinter Backstein oder Beton?

Telefonzeller an der Brabanter Straße/vor Kaffee Krema Café
„Jeder nach seinem Geschmack.“
Für den nächsten Wegabschnitt fokussiere dich bitte auf den Sinn des Schmeckens. Dieser Sinn geht eng einher mit dem Sinn des Riechens. Aber schaffst du es, das was dir um die Nase weht auch zu erschmecken? Und wenn du auf deinem Weg nicht viel mit diesem Sinn anfangen bzw. nicht viel schmecken kannst, ist das völlig in Ordnung. Dann nimm auch diesen Umstand einfach ganz bewusst wahr. Vielleicht hilft dir dann spätestens der kleine Kiosk direkt nach „Bar Schmitz“ und kurz vor „Herr Pimock“ weiter. Kaufe Dir hier gerne mit dem vorbereiteten Geld ein Getränk oder einen Riegel deiner Wahl und gebe dich vollkommen dem Geschmackssinn hin. Schmeckt das Getränk oder das Essen anders, je nachdem wo du dich gerade befindest? Oder hast du einfach nur Durst und erfreust dich daran, diesen mit einem wohlschmeckenden Getränk löschen zu können? Lass Dir Zeit und nimm es wahr. Wenn Du möchtest, kannst Du gerne wieder deine Ohropax/Kopfhörer benutzen.

Telefonzelle am Brüsseler Platz
„Die Natur muss gefühlt werden“ (Alexander von Humboldt)
Zu guter Letzt, bleibt noch der Sinn des Fühlens. Mache die Dinge, die dir begegnen greifbar, vom Boden über die Hauswand und den Mülleimer bis hin zu Pflanzen und Lebendigem. Welche Substanz,
welche Materie schmeichelt deiner Haut? Welches Material lässt dich erschauern? Wenn Du dann gleich wieder am Hans-Böckler-Platz angekommen bist, stelle Dich einfach in die
Telefonzelle hinein, ohne mich anzurufen und warte ab, was passiert.

Telefonzelle am Hans-Böckler-Platz
Carlotta ist live vor Ort und trifft die Person die sie gerade durch die Stadt geleitet hat und tauscht sich mit ihr über Erlebtes aus.