Feministisches Performance Bootcamp

WORKSHOPBESCHREIBUNG


Foto: ©Anna Fries

OK LADIES* NOW LET’S GET IN*FORMATION

In Henrike Iglesias feministischem Performance Bootcamp üben wir uns in der künstlerischen Arbeit mit autobiographischem Material und werden Autorinnen unserer eigenen Performances. Was heißt es als ich selbst auf die Bühne zu gehen (und was ist eine Bühne)? Wie lassen sich aktuelle feministische Diskurse in Performance und Theater übersetzen? Wer ist eure persönliche Heldin* und wieso? Was wolltet ihr schon immer mal sehr laut gesagt haben? – Um diese und weitere Fragen wird es gehen. Bühnenerfahrung und Vorkenntnisse sind nicht erforderlich, Interesse, open hearts und minds schon.

Marielle Schavan und Sophia Schroth von Henrike Iglesias leiten den Workshop mit der Nummer 4.

EINDRÜCKE UND REFLEXIONEN AUS DEM WORKSHOP


Photo aus der finalen Abschlusspräsentation, eine Reihe biographischer einzel oder Duo Performances

time to contemplate von Burak Sengueler.

„Es geht […] nicht darum, ein ästhetisch wahrnehmendes Subjekt zu überhöhen oder es zu vervollkommnen, vielmehr, sollten mittels von Kunst gesellschaftliche Verhältnisse transparent gemacht werden“ (Maset, 1998).

Unser Schulsystem hat ein Problem. Es ist durchdrungen von exkludierenden, traditionell-binären, heteronormativen, hegemonialen und toxischen Strukturen (diese Aufzählung ist bis ins unendliche erweiterbar). Denn so dynamisch unsere Gesellschaft sich auch verändert und transformiert, so dynamisch sollte sich auch unser Schulsystem verändern. Dies ist jedoch nicht der Fall. Unsere auf Segregation ausgerichtete Bildungslandschaft hält an alten, verstaubten und verkrusteten Strukturen fest. Wir haben das Jahr 2018 und seit nunmehr neun Jahren hat es sich die Gesellschaft zur Aufgabe gemacht, Inklusion in Schulen umzusetzen. Schaut man sich jedoch in Schulen um, wird deutlich, dass oft höchstens eine Light-Version der Inklusion zu Tage kommt. Ressourcen werden an Etikettierungen festgemacht, es wird von Inklusions- und Regelkindern gesprochen und Diagnostika halten nach wie vor an einer fiktiven Norm fest, die sich am westlichen, weißen Durchschnittsbürger orientiert. Doch hier hört es noch lange nicht auf. In Schulen werden noch immer binäre, heteronormative, sexistische und rassistische Strukturen reproduziert. Bildungschancen von sogenannten Schüler*innen mit Migrationshintergrund sind nachweislich schlechter. Sie werden überproportional häufiger an Förderschulen unterrichtet. Ihre Verhaltensweisen werden kulturalisiert sodass sie auf einen ganzen Personenkreis überschrieben werden und sie somit strukturellen Diskriminierungsformen ausgesetzt werden. Männlich gelesene Schüler werden zu toxischer Männlichkeit erzogen. Sie sollen keine Gefühle zeigen und nicht über diese sprechen, da sie sonst als schwach gelten. Weiblich gelesene Schülerinnen dürfen nicht raumeinnehmend sein. Sie müssen einer Gender-Performance entsprechen, wie es in der Mehrheitsgesellschaft vorgesehen ist. Das Wort „Schwul“ ist noch immer ein Schimpfwort. Nichtbinäre Geschlechteridentitäten werden in der Schule gar nicht erst thematisiert. Dieser sehr kurze und schlaglichtartige Problemaufriss zeigt, dass es noch viel zu tun gibt. Es ist unsere Aufgabe als angehende Lehrkräfte die Mikrogesellschaft Schule so umzugestalten, dass mit Hilfe inklusiver queerfeministischer Theorien ein Umdenken stattfinden kann. Denn die Springschool hat gezeigt: Patriarchy Is Over. Ich würde diesen Satz gerne um das Wort „eigentlich“ ergänzen. Denn wie meine Ausführungen zu Beginn gezeigt haben, ist das Patriarchat, in vielerlei Hinsicht, noch immer wirkmächtig. Mit der Springschool wurde jedoch ein Raum geschaffen, der gezeigt hat, dass besonders durch und mit künstlerischer Praxis diese Strukturen sichtbar gemacht werden und gezielt de- und rekonstruiert werden können. Es wurde ein Raum der Begegnung und Möglichkeiten erschaffen, in dem Vielfalt gelebt und zelebriert wurde. Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche wurden ausgesprochen und gehört. Lebensrealitäten wurden sichtbar. Aber auch Grenzen und Grenzüberschreitungen.
Als ästhetischer Erzieher habe ich das Privileg mir die Pluralität meines Faches zunutze zu machen und auch in der Schule einen Raum anzubieten, in dem kritisches Denken und Dekonstruktion aber auch Solidarität und Vielfalt möglich ist. Ich kann mit Schüler*innen gesellschaftliche Realitäten aufdecken, eigene Erfahrungen zur Diskussion ausstellen, (versuchen) Strukturen im Kopf zu sprengen und Möglichkeiten bieten voneinander zu lernen. Außerdem kann ich es Schüler*innen ermöglichen für ihre Gedanken, Erfahrungen und Gefühle individuelle Ausdrucksformen zu finden. Denn das ist das spannende und fruchtbare an dem Prozess. Durch das Auseinandersetzen mit gesellschaftspolitischen Themen können im künstlerischen Prozess blinde Flecken und Leerstellen identifiziert und benannt werden, die vielleicht auf einer schriftsprachlichen Ebene unentdeckt geblieben wären. Durch eine leiblich-körperliche Auseinandersetzung mit Themen, entwickeln künstlerisch arbeitende einen ganz anderen Bezug zu diesen. Durch die unmittelbare Einheit von Körper, Affekt und Rationalität können nachhaltige Prozesse in den Lernenden angeregt werden, die zum Que(e)rdenken ermutigen. Schule hat sowohl einen Erziehungs- als auch einen Bildungsauftrag. Kurz gefasst kann Bildung als die Veränderung des Verhältnisses von Ich und Welt beschrieben werden. Jedoch geschieht dies nicht von allein. Sowohl Erziehung als auch Bildung sind auf ein dialogisches und kooperierendes Prinzip ausgerichtet. Bildung geschieht also nicht für sich allein, sondern immer im Miteinander. Darüber hinaus ist Bildung ein Geschehen der Welt- und Selbstdeutung. Diese Deutungen sind jedoch geprägt von kulturell-historischen Strängen. Sie sind nicht neutral-objektiv.
Als ästhetischer Erzieher sehe ich hier meine Aufgabe unter anderem Bildungsangebote zu initiieren die irritieren, ein Umdenken erfordern, von gewohnten Routinen abweichen, eigene Interpretationen ermöglichen und Schüler*innen in ihrer Individualität und Einzigartigkeit einerseits aber auch im kollaborativen Miteinander andererseits wertschätzen.
Besonders der Workshop „Ok Ladies* Now Let’s Get In*Formation“ hat mir gezeigt, wie solch eine Arbeitsweise aussehen kann. Auf Basis gemeinsamen Experimentierens und einer gemeinsamen Spurensuche wurden ästhetisch-performative Prozesse angeregt, die zu einem sehr hohen Teil fast ausschließlich biografische Inhalte hatten. Die Dynamik, die sich innerhalb unserer Gruppe entwickelt hat, hat mich oft sprachlos gemacht. Auf der einen Seite haben wir auf einer wertschätzenden und respektvollen Ebene miteinander diskutiert und eruiert. Auf der anderen Seite wurden Aussagen, Aspekte und Thematiken kritisiert und dekonstruiert, die verletzend und nicht inklusiv waren. So war es möglich eigene Sichtweisen zu reflektieren, eigene Haltungen zu hinterfragen und nicht zuletzt gemeinsam daran zu wachsen. Einen großen Einflussfaktor hatten die Impulse, die uns von den Workshopleiterinnen gegeben wurden. Impulse in Form von personalisierten Stichworten und kleinen Videobeispielen haben bereits gereicht, um sehr berührende und intensive Performances auf die Beine zu stellen. Die Lektüre, die vorab zur Verfügung gestellt wurde, hat es ermöglicht gut fundierte Diskussionsrunden zu führen.
Ich denke, dass diese Arbeitsweise, eingebettet in ein Projekt, ein sehr gutes Format darstellt, um mit Schüler*innen arbeiten zu können. Im kleinen geschützten Rahmen ist es möglich, intensiv an ausgewählten Thematiken zu arbeiten und Schüler*innen eine Plattform zu bieten sich auszuprobieren, auszudrücken und nicht zuletzt den Stein weiter ins Rollen zu bringen, in der Hoffnung, dass internalisierte Barrieren, Vorurteile und -Ismen hinterfragt und dekonstruiert werden.
Diese idealtypischen Vorstellungen von Schule und Unterricht werden jedoch von institutionellen Vorgaben, Schranken und Strukturen oft be-hindert. Curriculare und gesetzliche Verpflichtungen schränken Lehrpersonen in ihren Möglichkeiten oft ein.
Deshalb ist es um so wichtiger, dass ich als ästhetischer Erzieher und zukünftige Lehrperson selbst Leerstellen, Lücken und Schlupflöcher innerhalb der Institution Schule finde, um die oben skizzierten Räume etablieren zu können. Allein gelingt dies oft nur schwer. Es ist wichtig, dass ein Großteil des Kollegiums mitmacht und Schule neu denken will. So können innerschulische Curricula etabliert und Projekformate initiiert werden. Des Weiteren erscheint es mir wichtig, feministisch-pädagogische Ansätze in den alltäglichen Unterricht und das Miteinander zu etablieren und Schüler*innen somit verstärkt für strukturelle Ungleichheiten, Diskriminierungen und Benachteiligungen zu sensibilisieren. Das Ziel einer solidarischen, aufgeklärten und selbstbestimmten Gesellschaft ist unbedingt bereits im Elementar- und Primarbereich zu verfolgen. Nur so kann eine nachhaltige Entwicklung und Veränderung einer Gesellschaft angeregt werden.
Last but not least: The Future Is Queer!

was ich als Kind für eine krasse Feministin war. von Julia Kleene

„Pippi & Lotta: Wir machen uns die Welt, wie sie wie sie wie sie uns gefällt! Wir markieren unser Revier“ – Zeichnungen von Jeanne von Eden.

„Ich habe eine Komplizin gefunden. Es hat ganz unabsichtlich und lustig angefangen, dass wir uns gegenseitig beim pinkeln fotografiert haben und so die Rolle der Exhibitionistin und Voyeuristin abwechseln eingenommen haben. Manchmal sind wir sogar beides gleichzeitig. Seitdem wir also dieses lustige Spiel betreiben, begegnen uns die ungewöhnlichsten Orte zum Urinieren.
Eines Tages sind wir auf die Idee gekommen uns Orte, an denen wir uns wegen unseres sozialen Geschlechts als Frauen nicht ganz wohl fühlen, zurück zu erobern, indem wir auf primitive Art unser Revier markieren.
Nun habe ich überlegt, was der künstlerische Mehrwert daran sein könnte und habe begonnen, ein Pippi-Magazin zu gestalten.  Mit Textmarker gestalte ich besonders ärgerliche Seiten um und bemale sie mit Textmarker.“

 
von Nikolas Vetter