Wir laden Euch herzlich zur Teilnahme und Diskussion am Online-Symposiums am 25./26.06.2021. Die versammelten Seminare, Studierenden und Gäste untersuchen aktuelle Narrative des Zusammenbruchs, thematisieren drängende Fragen des Anthropozäns und verhandeln Strategien für eine bessere Welt. Mit Beitragen von MELT, The Mycological Twist, Mirjam Thomann, Gesa Krebber, Sara Garzón, Astarti u.a.m.
Im Sommersemester 2021 widmet sich die Seminarreihe + Symposium “Critical Future(s) – Possible Procedures” der Vertiefung des Semesterthemas. Die dabei zur Anwendung kommenden Praktiken und Vermittlungsmethoden umfassen unter anderem Performance, Storytelling, kuratorische Praxis und kritische Online Interventionen genauso wie Deep Listening, Visualisierungsübungen und Meditationen. Natalie S. Loveless wird dieses Vorhaben im Rahmen des internationalen Lehrauftrags am Institut für Kunst & Kunsttheorie als Gastdozentin über das Semester hinweg begleiten. Natalie S. Loveless ist Künstlerin und Professorin an der Fakultät für Kunst und Design der University of Alberta und leitet das CoLABoratorium Research-Creation and Social Justice. Entlang der in den Seminaren entstehenden Beiträge und Diskussionen werden im Rahmen eines Online-Symposiums am 25./26.06.2021 experimentelle Formate angeboten, die zur Teilnahme und Diskussion einladen.
Wir haben uns schleichend an die Zustände im Kapitalozän (Jason W. Moore) gewöhnt. Große Teile des Planeten gleichen einem Depot, die mal zur Extraktion von Ressourcen und Arbeitskraft, mal als Deponie für menschengemachte Abfälle dient. Die Folgen der expansiven Ausbeutung werden nun auch in den Industrieländern spürbar, während Bevölkerungsgruppen im sogenannten Globalen Süden schon seit Jahrhunderten gegen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen und die Gewalt an ihren Körpern ankämpfen. Die Gegenwart der ‘Apokalypse’, in Form von Kolonialismus, Gewaltherrschaft, Umweltzerstörung und Landgrabbing ist bereits folgenreiche Normalität (Deborah Danowski/Eduardo Viveiros de Castro). Zeitgleich stehen uns in den nächsten Jahrzehnten umfassende durch den Klimawandel induzierte Veränderungen bevor, die biologische Systeme, ökonomische Ideen, Modelle gesellschaftlichen Zusammenlebens und politische Organisationsmechanismen ebenso spürbar machen wie grundsätzlich herausfordern werden.
Die letzten Monate der Pandemie haben einen Vorgeschmack gegeben: Während der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur immer neue Rekorde verzeichnet, legt ein globaler Virus in ungeahnter Geschwindigkeit große Teile des alltäglichen Lebens lahm und beschleunigt dabei intersektionale und globale größtenteils menschengemachte Ungleichheiten. Es ist nicht zu übersehen, dass wir es nicht mit einzelnen “Krisen” zu tun haben, die isoliert voneinanderbetrachtet werden können. Vielmehr handelt es sich um miteinander verzahnte, andauernde und sich komplex überlagernde Ausnahmezustände. Sie offenbaren ihre Konsequenzen sehr ungleich verteilt, und teils unbemerkt, mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, verweisen dabei allerdings allesamt auf die unmittelbaren planetarischen Belastungsgrenzen. Vieles scheint nach wie vor wenig greifbar und zeichnet sich nur schemenhaft hinter den porösen Grenzen menschlicher Vorstellungskraft ab. Obwohl die Möglichkeit des menschlichen Aussterbens schon immer als Motiv vorhanden war, fordert das durchdringende Gefühl von terrestrischer Erschöpfung dazu auf, neue Formen der Ansprache in Kunst, Wissenschaft und Pädagogik zu entwickeln. Die Rolle des Menschen auf diesem Planeten zu hinterfragen und dabei andere soziale, ökonomische und ökologische Denk- und Handlungsweisen zu entwickeln, ist zu einer drängenden Frage des Überlebens geworden und lässt sich nicht mehr hinter Einzelinteressen zurückdrängen. In Anbetracht der existenziellen Dringlichkeit geht die Veranstaltungsreihe in Anlehnung an Natalie Loveless‘ Arbeit den Fragen nach:
Wie können wir als Individuen oder Kollektive, als Künstler:innen und Kunstinstitutionen dazu verhalten? Wie können wir Fragen der Ökologie, der Koexistenz und der Fürsorge in unsere künstlerischen Praktiken einfließen lassen oder sogar zur Grundlage unseres Schaffens machen? Wie können künstlerische Praxen für ein “Leben auf einem beschädigten Planeten” (Anna Loewenhaupt Tsing) aussehen, denen es weder an Komplexität, Vielschichtigkeit und Experiment mangelt, noch an einer ökologisch-ethischen Grundlage?
Auf der Suche nach einer Alternative zur Flut von Erzählungen der Hoffnungslosigkeit sucht die Seminarreihe + Symposium »Critical Future(s) – Possible Procedures« nach situierten, vielstimmigen und transdisziplinären Strategien, um daraus Werkzeuge für ein kollektives (Über)Leben zu entwickeln. Dabei möchten wir ein Denken praktizieren, dass in der Geschichte verankert ist und in der Gegenwart verortet bleibt, Spannungen und Schwierigkeiten anerkennt und gleichsam kritisch wie hoffnungsvoll über die Zukunft spekuliert. Wir möchten Zeit und Raum nutzen, um gemeinsam am Aufbau wünschenswerter Zukünfte zu arbeiten und – im Kontext tiefgreifender ökologischer, ökonomischer und sozialer Veränderungen – Wege des mehr-als-menschlichen Zusammenlebens zu entwerfen sowie Prozesse der Reparatur und Heilung in den Blick zu nehmen. Dazu wenden wir uns den Ansätzen von Natalie S. Loveless zu. Als internationale Gastdozentin am Institut für Kunst & Kunsttheorie begleitet sie das Projekt »Critical Future(s) – Possible Procedures« über dasSommersemester 2021. Loveless ist Künstlerin und Professorin an der Fakultät für Kunst und Design der University of Alberta und leitet das CoLABoratorium Research-Creation and Social Justice. In den letzten Jahren hat sie den interdisziplinären Ansatz der Research-Creation erforscht und weiterentwickelt. Research-Creation bezeichnet zunächst “eine epistemologische und methodologische Intervention in die traditionelle wissenschaftliche Forschungspraxis […]”. Es handelt sich um eine experimentelle Herangehensweise an das Lehren, Forschen und Publizieren, welche tief in ökologischen, antikolonialen und feministischen Praxen verortet ist. Im Zentrum steht die Anerkennung und Einbeziehung künstlerischen Schaffens als eigenständige wissenschaftliche Forschungsmethode, “die nicht nur die Fähigkeiten des Reflektierens und Analysierens, sondern auch des Handelns und Intervenierens fördert und indem wir mit Research-Creation einen Weg einschlagen, um nicht einfach nur über ökologische Themen zu reden, sondern Arbeiten zu entwickeln, dieselbst ökologische Form annehmen […].”
Die Seminarreihe umfasst fünf Veranstaltungen, die unabhängig voneinander besucht werden können und schließlich in einem gemeinsamen experimentellen Online-Symposium am 25./26.06.2021 zusammenlaufen. So widmet sich etwa Martina Leeker in ihrem Seminar “Encountering the posthuman. Training inambivalence” der Denkfigur des Posthumanen und sondiert die unhintergehbaren Ambivalenzen der entsprechenden Narrative zwischen technophiler Machtfantasie und relationalem Utopismus. In “Curating on a Damaged Planet” beschäftigt sich Nada Schroer mit Diskursen rund um das Anthropozän und untersuchtradikale Ansätze von Künstler:innen, Pädagog:innen und Kurator:innen, die auf dringende planetarische Herausforderungen reagieren. Olga Holzschuhs Seminar “performative treatment as a tool” befragt alternative Praxen der Heilung und untersucht deren Potenzial, als Methode zu dienen, um gegenwärtigen sowie zukünftigen Krisen zu begegnen. Aus einer ökologischen Perspektive untersuchen Eloïse Bonneviot & Anne de Boer (The Mycological Twist) in ihrem Seminar “Finding Fictions Interventionen” die Futtersuche als Form der Kartierung von sozialen Räumen und experimentieren dabei mit Methoden des nonlinearen Geschichtenerzählens sowie mit Computer- und Rollenspielen. Die Veranstaltungsreihe bietet Gelegenheit für eine gemeinsame konzentrierte Erarbeitung von künstlerischen, kuratorischen und wissenschaftlichen Beiträgen, die im Rahmen eines Online-Symposiums am 25. und 26.06.2021 in experimenteller Form vorgetragen und gemeinsam mit allen Teilnehmenden ausgetestet und zur Diskussion gestellt werden. Die Vorstellung der Seminarteilnehmer:innen werden gerahmt von Keynotes, Online-Performances, Meditationen, Tarot-Sessions und abschließenden VisionThinkTanks, die die methodischen Potentiale der Research-Creation für eine soziale und ökologische Zukunft am Institut für Kunst & Kunsttheorie festhalten.