Exkursion zur Manifesta 12, Palermo – Summer School “Arts Education on Tour: Das mediterrane Denken” ⎜ Dozent*innen: Ayse Gülec, Aurora Rodonò & Prof. Dr. Manuel Zahn

Summer School “Arts Education on Tour: Mediterranean Thinking”

During the Summer Semester 2018, the Institute of Art and Art Theory of the University of Cologne realized an excursion under the title “Arts Education on Tour: Mediterranean Thinking” to the 12th edition of the European Nomadic Biennial for Contemporary Art MANIFESTA that took place in the Sicilian capital of Palermo from June 16th to November 4th, 2018. As a politically oriented and nomadic art exhibition, founded in the early 1990s as a response to the reconfiguration of the World after the end of Cold War, Manifesta is held in a different host city every two years. According to the Manifesta’s title “The Planetary Garden – Cultivating Coexistence” and the main themes of “migration” and “climate change” of this year, the focus of the excursion, understood as Summer School, has been on postcolonial theoretical perspectives, on reflections about the de/construction of the “Global South” and questions of a racism-critical art pedagogy.

Under the responsibility of Aurora Rodonò, M.A. and Prof. Dr. Manuel Zahn (Institute of Art and Art  Theory, University of Cologne), a group of 22 students, coming from the different degree courses Art Education, Aesthetic Education and Intermedia, embarked on a journey for a one-week Summer School in Palermo, a place that for centuries has been an important hub of transcultural processes. In order to dip into the Manifesta’s concept and spirit, the participants did not only visit the exhibition venues, spread all over the city of Palermo, but had the possibility to deepen their studies by attending different workshops and laboratories with some of the responsible persons of the Manifesta’s Curatorial and Educational Team: Yana Klichuk (Head of Education and Learning), Chiara Cartuccia (Curatorial and Public Programme Coordinator), Giuseppe Arici (Visitors Service and Audience Development Coordinator) and Yodit Abraha (Community Liaison). Especially these workshops with the makers of the exhibition and its multi-layered program around, were extremely precious for the students‘ learning processes, by giving them the unique chance to look behind the scenes and exchange knowledge and ideas with some of the most interesting protagonists of the contemporary international art scene. Furthermore, the initiators of the excursion Aurora Rodonò & Manuel Zahn invited the internationally renowned art mediator Ayse Güleç to join the Summer School as a teacher and to share with the students her expertise on the interface between arts & social practices as elaborated in the context of the world exhibition documenta in Kassel, for which Ayse Gülec has been working for now three editions – most recently as responsible for the Section “Community Liaison”, concerned with the collaborations between the (international) artists and the local communities.

Precisely because Sicily, and Palermo in particular, is a place of migration and continuous social changes, the Summer School offered the possibility to gather with local players and institutions, such as the association “Borderline Europe/Sicily” (engaged into the Monitoring of the European migration and border policy) or the association “Moltivolti” that works towards a more transnational society through cultural education. During the excursion, the students also participated at the Guided Tours with the so-called “Gardeners” (guides), who gave substantial information regarding the artistic works and the curatorial concept of the Manifesta by providing insights into specific local knowledges. In retrospect the whole program was extremely intense and fruitful. The students were lastingly impressed by the exhibition, the hospitality and the expertises of the makers of the Manifesta. Overall, the students had the great opportunity to discover emerging artists and to engage with the professional discourse on it – a great experience that has enriched the students’ studies.

Aurora Rodonò

 

BU:Computer screen in a library space with two photographs by Julia Goltermann on display

Palermo ist eine große, alte Stadt im Süden, nicht nur von Italien, sondern von Europa und liegt am Mittelmeer. Deshalb ist Palermo, seit langem Hauptstadt Siziliens, der größten Insel des Mittelmeers, bis heute verschiedenen kulturellen Einflüssen ausgesetzt. Gerade heute leben communities in Palermo, deren Kultur im Stadtbild sichtbar wird (wie auf den Straßenmärkten). Man weiß, dass die Mafia in Palermo zahlreiche Personen ermordete, die sich gegen sie stellten und im öffentlichen Raum stößt man immer wieder auf Gedenktafeln und Denkmäler für die Opfer. Zu den Produkten der Mafia zählen die nicht fertiggestellten Häuser am Pizzo Sello (Phänomen des „Incompiuto Siciliano“): Eines der Häuser wurde vom belgischen Architekturbüro Rotor im Rahmen ihres Manifesta-„Projekts“ – sämtliche von der Manifesta gezeigten künstlerischen Arbeiten tragen diesen Namen – „sanft“ renoviert und wenn auch nicht bewohnbar gemacht, so doch als spektakuläre Installation, die von den Besucher*innen betreten werden kann, hergerichtet. Die Zukunft der illegalen Bebauung, die der Mafia entzogen wurde, ist ungewiss. Im Übrigen wurde im Botanischen Garten, einer der Venues der Manifesta 12, ein Einblick in das jenseits seiner Mauer brach liegende Industriegelände ermöglicht – das künstlerische Projekt bestand aus einer Treppe, von der man über die Mauer zwischen Park und Fabrikareal blicken konnte und damit von einer geplanten gartenkünstlerischen Gestaltung in eine nicht mehr wie geplant funktionierende industrielle Gestaltung.
Es ist weder einfach zu beurteilen, wie sehr die Bevölkerung Palermos an der Ausstellung partizipierte, noch ist es einfach zu sagen, wie gut die Kunstvermittlung für uns, als durchreisendes Publikum, funktionierte. Die persönliche Begegnung mit Kunstwerken hängt u. a. von den Interpretationen ab, mit der die Besucher*innen durch Begleittexte oder eben durch Kunstvermittler*innen angeleitet werden. Im Rahmen der Vorbereitung für die Summer School und bei den Diskussionen mit den Verantwortlichen der Manifesta wurde sehr bald deutlich, dass es sich beim Verhältnis, das Akteur*innen wie Künstler*innen, Kurator*innen, Kunstvermittler*innen und Besucher*innen trennt und verbindet, um ein komplexes System handelt.

David Berger

 

Pizza& Pasta/ Wein/ Mittelmeerklima/ Gewitter in der Ferne/ Terracotta-farbende Gebäude/ Kopfsteinpflaster/ fußläufige Entfernungen/ italienische/ Blick auf stadtumgebende Hügel / blaues Meer/ Enge Gassen/ Lebhaftigkeit/ zusammengewürfelte Gebäude/ Balkone/ Eis

Die MANIFESTA12 ist in ihrem Habitat eine einzigartige Erfahrung. Nach einer Woche inten-siver Kontaktzeit lässt sich rückblickend zusammenfassen, dass die Verknüpfung von Stadt und Ausstellung erfolgreich gelungen ist. Dadurch, dass alle Ausstellungsorte in Palermo verstreut, dennoch meist fußläufig erreichbar sind, werden Besucher*innen auf eine ange-nehme und natürliche Art und Weise mit der Stadt vertraut gemacht. Das Schöne ist, dass dies auf einem unkonventionellen, nicht-touristischen Weg und zugleich auf mehreren Ebenen geschieht. So lernt man Palermo auf der einen Seite aus eigener Perspektive, selbst-ständig-erfahrend und auf der anderen Seite aus künstleri-scher und lokaler Perspektive kennen. Das Thema „The Pla-netary Garden. Cultivating Coexistance“ bietet äußerst viel Raum für die Auseinandersetzung mit eigenen Interessenspräferenzen und offeriert zugleich angenehme Abwechslung, indem es in vier Schlüsselthemen aufgeteilt ist, nach denen die Venues kategorisiert sind und welche unterschiedliche Ansprüche an die Rezeption stellen.

Gerade bei Kunstwerken, welche dem Thema „Out of Control Room“ zuzuordnen sind, ent-stand bei vielen Studierenden ein Rede- und Diskussionsbedarf. Ich war sehr glücklich, dass dieses Bedürfnis zum einen in kleinen Gruppen mit Komiliton*innen und zum anderen im Rah-men der großen Gruppe gestillt werden konnte und habe alle Gesprächsrunden als Berei-cherung empfunden. Weiterhin war im Rahmen der Veranstaltung ein reichhaltiges Inputan-gebot vorhanden, wie beispielsweise Gesprächssituationen mit Expert*innen, die auf unter-schiedlichen Ebenen mit der Ausstellung oder den Themen der MANIFESTA in Zusammen-hang stehen. Ein weiterer sehr positiver Aspekt der Exkursion war, dass sie flexibel auf indivi-duelle Wünsche und Bedürfnisse eingegangen ist und auf diese Weise Mitbestimmungs-möglichkeit für das Programm zugesichert wurde.

Alles in Allem eine tolle, lehrreiche und anregende Atmosphäre!

Denuell

 

Kunst? Wissenschaft? Aktivismus?

Bei der diesjährigen Manifesta 12 in Palermo waren die Grenzen fließend. Aus Politik wird Kunst, aus Kunst wird Wissenschaft, Aktivismus wird dokumentiert und zur Kunst. Bei unserer einwöchigen Exkursion nach Palermo hatte ich weniger das Gefühl, wirklich auf einer Kunst-Biennale zu sein, sondern eher in einen großen Topf voller Informationen und Blickwinkel geworfen zu werden. Jeder Ort hat viele Fragen aufgeworfen aber auch zu vielen neuen Ideen inspiriert. Es ging nicht nur um die Kunst, sondern auch um die Menschen dahinter und unser alltägliches Leben. Ein Beispiel: NO MUOS.

MUOS steht für Mobile User Objective System und ist ein Satellitensystem der US Navy. Dieses System benötigt vier Bodenstationen, eine davon ist auf Sizilien. Die Initiative NO MUOS richtet sich gegen dieses Satellitensystem und die militärische Verwendung davon vom Standort Sizilien aus. Die Menschen wollen nicht, dass die USA von Sizilien aus Kriege führen kann. Die Satelliten sind außerdem mit erheblichen Risiken für Mensch und Natur verbunden. 2013 wurde der Bau der Bodenstation auf Sizilien daher sogar gestoppt – ein Gutachten hatte die Risiken bestätigt. Es wurde jedoch gerichtlich abgewiesen, weshalb der Bau noch im selben Jahr wieder aufgenommen wurde. Seit 2016 ist die Station in Betrieb. Die Arbeit von NO MUOS wurde auf der Manifesta im Palazzo Ajutamicristo ausgestellt, unter dem Titel „Article 11“. Zu sehen waren Flugblätter, Bilder, Zeitungsartikel und ein großes Wandbild mit Fotos und Karikaturen. Die für diese Installation verantwortliche Künstlerin Tania Bruguera rückt dabei (für mich) in den Hintergrund. Wie bei vielen anderen Arbeiten der Manifesta war der springende Punkt weniger die Ästhetik oder der künstlerische Aspekt einer Arbeit, sondern Informationen und Fakten. Man konnte sehr viel lernen: über Sizilien, über Palermo, über den Rest der Welt.

Ein Blogeintrag zur Manifesta? Oder ein Blogeintrag zu NO MUOS?

Article 11 ist eine der vielen Arbeiten der Manifesta, die auf Missstände und Ungerechtigkeiten auf der Welt aufmerksam machen. Im Rahmen einer großen Kunstausstellung erreichen diese Werke dennoch oft nur ein bestimmtes Publikum. Was ist also die Aufgabe der BesucherInnen der Manifesta? Genau das, was dieser Blogeintrag möchte. Die Infos und Anliegen der Menschen und KünstlerInnen weiterzutragen, Wissen weiterzugeben und die Kunst zu Wissenschaft, zu Aktivismus, zu Wissen und Meinung werden zu lassen. Ein bisschen Aktivismus gab es für uns auch schon bei der Manifesta selbst, als wir beim „Education Hub“ der Manifesta 12 ein eigenes Banner gebastelt haben: Seebrücke statt Seehofer.

Carolin Franz

 

Manifesta 12 in Palermo: Ein Wechselbad der Gefühle

Dieses Jahr findet die Manifesta 12 in Palermo statt. Im Rahmen der „Exkursion: Manifesta 12 Palermo – Summer School on Tour“ habe ich diese besucht. Zu Beginn dieses Blogposts muss ich mich wohl outen: Ich habe bis jetzt noch nicht viele Kunst-Ausstellungen besucht. Letztes Jahr war ich mit der Uni in Venedig und habe die Biennale gesehen. Als ich also mit der Vorstellung, etwas Ähnliches wie dort vorzufinden nach Palermo reiste, habe ich mich mehr als getäuscht. Die Biennale in Venedig und die Manifesta in Palermo sind nicht zu vergleichen. Bei der Manifesta steht das Educational Programm im Vordergrund. Die Manifesta beschränkt sich nicht nur auf die Kunst und die Ausstellung. Die Arbeit vor Ort von und mit Menschen, die in Palermo leben steht im Vordergrund. Es geht darum zu informieren, dokumentieren und zu mobilisieren. Kernthema und Motto der diesjährigen Manifesta 12 ist „The Planetary Garden“. Durch die Mediatoren, die den Namen „Gärtner“ tragen, sollen Gespräche angeregt werden. Auch das Programm der Exkursion war an dieses Konzept angepasst. Wir hatten die Chance diverse Gespräche zu den Themen wie Kuration, Educational Programm oder der politischen Lage im und am Mittelmeer zu führen. In der kurzen Zeit, die wir vor Ort waren, habe ich eine Menge Denkanstöße bekommen. Die häufig sehr ernsten Themen standen durchgehend in Kontrast zu der unglaublich beindruckenden Kulisse Palermos.

Purple Muslin (2018), mixed media

 

Ein Werk, dass mir besonders im Gedächtnis geblieben ist, ist der Dokumentarfilm „Purple Muslin“ von Erkan Özgen. Es handelt sich um eine Kollaboration mit geflüchteten Frauen aus Nordirak. Er spricht den Einfluss des Krieges auf die Frauen an, die die Konfliktzonen und somit ihre Heimat verlassen mussten. Der Film zeigt auf, auf welche verschiedenen Weisen die Frauen mit dem Trauma und der Gewalt umgehen. Gezeigt wird der sehr emotionale Film im Palazzo Forcella De Seta. Ein alter Palast mit Blick aufs Mittelmeer. Sitzt man in dem Raum und schaut sich den Film an, fängt man an diese unglaubliche Kulisse auszublenden. Immer wieder kommen jedoch Menschen herein, die das Meer sehen, Fotos machen und einen wieder in die Realität zurückholen.

Der Kontrast zwischen ernsten Themen und dem Urlaubsgefühl, dass einen andauernd ergreift: Sommer, Sonne, Mittelmeer.

Wenn ich nun beide Ausstellungen miteinander vergleiche, ist die Biennale in Venedig reinste Unterhaltung. Die Themen der Manifesta 12 und die intensiven Gespräche, die wir dort geführt haben, holen einen immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Man wird informiert und motiviert. Ich habe viele Eindrücke mitgenommen, mit denen ich mich immer noch beschäftige. Für mich, eine Laie, die selten einen richtigen Zugang zu Kunst findet, hatte der Besuch der Manifesta einen hohen Mehrwert. Ich habe gelernt, was Kunst noch sein kann und das ist nicht nur um Verkauf geht, sondern viel mehr um Aufklärung und Auseinandersetzung mit Themen. Und ich werde auf jeden Fall in zwei Jahren die Manifesta 13 besuchen.

Marie Freitag

 

Die Manifesta 12 in Palermo hat mit all ihrer Fülle und Komplexität bezüglich der unterschiedlichen Ausstellungsorte und Künstler einen Reichtum an Atmosphären dargeboten. Atmosphären, die Räume zum Nachdenken, zum Wahrnehmen und zur Selbstbildung durch sinnlich-reflektive Erfahrung öffneten. Diese gehören im Besonderen auch zu den Bildungszielen der Ästhetischen Erziehung. Das Thema „The Planetary Garden. Cultivating Coexistence“ war allgegenwärtig. Die Verbindung zum derzeitigen europäischen Kontext wurde in der künstlerischen Nutzung der dortigen Pflanzenwelt und der Menschen in all ihrer Vielfältigkeit sichtbar.

„io sono il mondo“ lautet der Titel meiner Videoinstallation. Durch Hör-Räume und überlagerte Bilder versuche ich hier ebenso Atmosphären zu schaffen. Hier stehen die Symbiose zwischen Mensch und Natur im Vordergrund – die Natur, die uns alle gleichermaßen vereint. Inspiriert ist die Arbeit durch meine eigenen ästhetischen Erfahrungen, die ich dank des Formates der Manifesta 12 beim Betrachten der Kunstwerke, wie beispielsweise im „Palazzo Forcella de Seta“, im „Teatro Garibaldi“ oder beim Lauschen der Zikaden im „Botanischen Garten“ sammeln durfte, die aber auch außerhalb der Venues Raum fanden. In den Gesprächen mit Geflüchteten und Einheimischen, bei Spaziergängen am Hafen und im Sein mit der Stadt . Wir sind alle eins und vom selben umgeben.

 

io sono il mondo
io sono la terra
io sono il sangue
de tutte le persone
de ogni colore

 

 

ich bin die welt
ich bin die erde
ich bin das blut
aller menschen
aller farben

 

Ausstellungsraum war vor allem auch Palermo selbst und ebenso seine Historie. Am Quattro Canti wurde das für mich vor allem deutlich, als ich im Zuge meiner Fotoarbeit über die Zeit des Faschismus in Palermo recherchierte. „stato lì, essere e diventare“ (übersetzt: „da gewesen, sein und werden“) lautet der Titel und die Arbeit beschäftigt sich mit dem Bild der Zeit. Der Faschismus in den 1930ern, der aktuelle Neofaschismus und einen Ort, der Zeuge der Vergangenheit war, der Gegenwart ist und Zukunft wird.


Laura Hommes

 

Tagebucheintrag, Sonntag 26.08.2018

Sehr komisches Gefühl. Fast die letzten zwei Wochen habe ich mit sechs Freunden und KommilitonInnen zusammengewohnt, hier in Palermo, und jetzt habe ich Miri und Jannik, die letzten beiden unsere Gruppe, zur Fähre gebracht und verbringe die letzte Nacht alleine in einem neuen Zimmer in der Nähe des Hafens. Eigentlich habe ich mich auf diesen Moment gefreut, endlich mal alleine zu sein und etwas Ruhe zu haben, in dieser Stadt, die nie zu schlafen scheint, die immer voll, laut und stinkend ist und in der sogar noch mitten in der Nacht die Müllabfuhr die Glascontainer ausleert. Aber es kommt ganz anders und ich empfinde eher ein Gefühl von Leere und Traurigkeit, dass ich so vorher nur einmal in den letzten zwei Wochen verspürt habe, nachdem ich die Arbeit von Forensic Oceanography gesehen hatte. Ich entschließe mich, ein wenig durch mein neues Viertel zu streifen, immer noch auf der Suche nach der besten Pizza Palermos, auch wenn mir vorher schon mehrfach und ausdrücklich gesagt wurde, dass Palermo keine Pizzastadt ist. Nach zwei Stunden orientierungslosem Rumirren entscheide ich schließlich, die Pizzeria direkt neben meiner Wohnung anzusteuern: Sehr gut besucht, fast ausschließlich von ItalienerInnen. Gutes Zeichen, denke ich. Ich bestelle gleich zwei Pizzen und zwei Bier zum mitnehmen, denn ich will auf keinen Fall den Eindruck eines vereinsamten Alleinreisenden vermitteln. Mir wurde gesagt, dass ich mit einer längeren Wartezeit rechnen muss (zumindest glaube ich, dass die Dame hinter der Bestelltheke mir das mitteilen wollte), also setze ich mich an den Katzentisch, öffne das erste Bier und versuche, mir die Eindrücke der letzten Tage ins Gedächtnis zu rufen:

Bevor ich mich für die Exkursion nach Palermo zur Manifesta angemeldet habe, hatte ich um ehrlich zu sein noch nie von der Manifesta gehört. Alle Infos, die ich auf die Schnelle finden konnte, machten mich neugierig. Eine sehr politisch orientierte Wanderbiennale, renommiert und anerkannt, obwohl die Liste der in der Vergangenheit ausgestellten KünstlerInnen bei mir größtenteils auf Unkenntnis stieß, was die Sache keineswegs uninteressant machte. Im Gegenteil, Superstarausstellungen sind nicht so meins. Nach und während den ersten Vortreffen der Exkursion ergänzte sich mein Bild über die Manifesta, auch wenn immer noch nicht alles verstanden war und immer noch viele offene Frage im Raum standen.

Ich verstand die Manifesta als eine Ausstellung, die sich dieses Jahr, mit dem Slogan „The Planetary Garden. Cultivating Coexistence“, bewusst durch den Standort Palermo sowie die ausgestellten Arbeiten der KünsterInnen mit dem Thema der Migration, Grenzen, Flucht und Vielfalt kritisch auseinandersetzt. Palermo scheint dafür der perfekte Ort zu sein: Eine Stadt, von der der Bürgermeister Leoluca Orlando sagt, es gibt hier keine Migranten, sondern jeder der nach Palermo kommt wird Palermitaner, wie es auch in der Einführung des Manifestakatalogs heißt. (Vgl. Orlando, Leoluca (2018). Manifesta 12 Palermo, Milano: Domus, S.9)

Der Botanische Garten dient hierbei als einer der Hauptstandorte der Manifesta 12 und unterstreicht nochmals die botanische Metaphorik. Der bis ins 18. Jahrhundert zurückgehende Botanische Garten Palermos beherbergt über Jahrhunderte alte exotische Pflanzen aus aller Welt, die hier kultiviert und erforscht werden. Dies steht als Sinnbild für die kulturelle Vielfalt, die Palermo prägt und geprägt hat. Eine Stadt mit einer DNA, die von Arabern und Normannen, von Staufern und Spaniern beeinflusst wurde und die geographisch an der Schnittstelle von Europa, Nordafrika und dem Nahen Osten liegt, was einen Austausch und Bewegung von Menschen, Kapital, Gütern, Daten und Pflanzen mit sich bringt. (Vgl. Reski, Peter (2018). zeit.de/2018/26/palermo-manifesta-12-biennale, online: 05.10.2018, Vgl. Frenzel, Sebastian (2018). monopol-magazin.de/palermo, online: 05.10.2018). Die Manifesta ist eine Wanderbiennale, die alle zwei Jahre ihren Standort in eine andere europäische Stadt verlegt. Somit ist die Manifesta immer Gast in einer anderen Stadt und hat es sich als Ziel gesetzt, der Gastgeberstadt etwas zu überlassen, das auch nach der Manifesta noch bleibt. So ungefähr war also mein Wissensstand zu Beginn der Exkursion.

In Palermo angekommen war ich sofort begeistert von der Stadt. Anders als beispielsweise bei der Documenta, die in Kassel nahezu in der gesamten Stadt spürbar oder präsent war, wirkte die Manifesta eher charmant unaufdringlich. Hier und dort ein Plakat, ein Wegweiser oder ein bedruckter Bus, aber keine angebrachten Riesenbanner, Leuchtreklame oder Reisebusse vollgepackt mit Kunsttouristen. Dieser erste und durchweg positive Eindruck hielt an bzw. wurde unterstrichen, als wir am dritten Tag das erste Mal das Teatro Garibaldi und weiter Venues besichtigten. Pompöse Palazzi mit halb freigelegten Fresken, teilrenovierte Orte, die so überwältigend und exotisch wirkten, dass die darin ausgestellte Kunst fast schon nebensächlich wurde. Auch im Vorfeld, als ich mir Tipps einholte, welche Ausstellungsorte ich mir auf jeden Fall anschauen sollte, fielen immer wieder Worte wie: Tolles Gebäude, unglaublich schöner Palast oder wirklich tolle Architektur. Schnell fragte ich mich: War das so beabsichtigt?

Die Ausstellungsorte der Manifesta war grob in die drei Bereiche: City on stage, Out of Control Room und Garden of flows gegliedert. Anfangs erschloss sich mir die Unterteilung eher weniger, doch nach und nach wurde mir ihre Bedeutung bewusst.

Mehr und mehr interessierte mich also, was die Manifesta der Stadt Palermo überlassen möchte. Sind es die halb-renovierten Palazzi? Oder vielleicht eine Art Netzwerk/Infrastruktur, die sich durch die Manifesta und die Vorbereitungen und Recherchen ergeben haben? So genau konnte mir die Frage niemand beantworten. Auch in unseren Gesprächen mit den verschiedenen Protagonisten des Educational Teams oder des Curatorial Teams wurde wenn, dann nur das Anliegen und die Idee geschildert, diese aber nicht wirklich mit einer Antwort versehen. Vielleicht kann man es einfach noch nicht absehen? Ich sprach mit Claudia, einer Bekannten, die (wieder) in Palermo lebt und hier aufgewachsen ist über die Manifesta. Sie ist Kuratorin und bewegt sich somit mehr oder weniger in der Kunstwelt Palermos. Sie hat eine etwas kritische Sichtweise aus die Manifesta. Sie räumt ein, dass es auch für sie spannend ist, dass verschiedene, seit einigen Jahren verschlossene oder nur privat genutzte Gebäude nun wieder öffentlich zugänglich sind und mit zeitgenössischer Kunst bespielt werden. Gleichzeitig betont sie, dass genau diese Art der Installation von Kunst in Palermo nichts Neues sei. Viele Ausstellungsorte und Galerien präsentieren ihre Ausstellungen genau so, da die Mittel für eine Renovierung fehlen. Halb renovierte Hallen, morbide Gemäuer und marode Räume. Für die mitteleuropäische Kunstwelt, die gerade ihre Vorliebe für den exotischen, armen Süden gefunden hat, spannend und imposant, für die PalermitanerInnen mehr oder weniger daily business. Claudia teilte mir auch mit, dass die Kunstschaffenden in Palermo sich nichts sehnlicher gewünscht hätten also die Errichtung eines White Cubes als eine Art Gastgeschenk der Manifesta für die Kunstwelt in Palermo, denn genau daran mangelt es wohl in dieser Stadt. Spannend, wenn man berücksichtigt, dass uns in den Gesprächen mitgeteilt wurde, dass genau das vom Manifestateam nicht beabsichtig war. Hier weiss man natürlich nicht, wer wem nicht richtig zugehört hat, oder wer vielleicht nicht seine Bedürfnisse klar genug geäußert hat.

Auch das übergeordnete Thema der Migration und Flucht, welches sich in vielen der Arbeiten wiederfinden lässt, hält Claudia für nicht sonderlich ausgefeilt und unattraktiv für die PalermitanerInnen selbst. Diese sein, manche mehr, manche weniger, alleine schon aufgrund der geographischen Lage Siziliens, tagtäglich mit diesem Thema konfrontiert, wenn auch nicht verknüpft mit dem künstlerischen Aspekt. Dies führe dazu, dass viele Einheimische kein großes Bedürfnis verspüren, sich die international ausgerichtete Biennale anzuschauen. Auch die Kooperation mit der ansässigen Kunstszene sei allgemein etwas anders ausgefallen als gedacht. Zwar wurden viele Locations, Ateliers, Workspaces und Galerien (als Collateral Events) mit in die Manifestamap aufgenommen, an finanzieller, logistischer oder kooperativer Unterstützung sei sonst aber nicht viel von Seiten der Manifesta gekommen, so Claudia.

Ich erzähle das alles gar nicht, weil ich mich bedingungslos der Meinung und Ansichten von Claudia anschließe, dennoch finde ich es total spannend, auch mal eine Sichtweise aufgezeigt zu bekommen, die uns so in Gesprächen mit Giuseppe Arici, Chiara Cartuccia (Curatorial Program) oder Yana Klichuk (Educational Program) nicht nähergebracht wurde. Ich finde es interessant, hierdurch den Diskurs und die eigentliche Aufgabe und Intension von Weltausstellungen wie der Manifesta und / oder Documenta zu hinterfragen. Der Documenta wurde vorgeworfen, mit der Standorterweiterung nach Athen sehr kolonialistisch und unsensibel agiert zu haben. So sehe ich die Manifesta nicht. Ich finde es beachtlich, wie ein (kuratorisches) Konzept solcher Größenordnung mit den Gegebenheiten einer Stadt umgeht und diese ins Konzept einfließen lässt. Ich als Lehramtsstudent und Kunstschaffender habe tolle und inspirierende Arbeiten gesehen, die sich mit dem Ort, der Zeit und der Stadt auseinandersetzen, wie kaum zuvor erlebt. Dennoch hat sich die Kunst, wie schon erwähnt, charmant und respektvoll in den Hintergrund gestellt, und die Hauptrolle spielte für mich eindeutig Palermo. Oder war das genau so gewollt?

Literatur:

Frenzel, Sebastian (2018): Die Welt von morgen. Online: monopol-magazin.de/palermo [05.10.2018].
Orlando, Leoluca (2018): Introduction. In: Regueira, Esther (Hrsg.): Manifesta 12 Palermo. Milano: Domus, S.9.
Reski, Peter (2018): Im Garten der Konzepte. Online: https://www.zeit.de/2018/26/palermo-manifesta-12-biennale [05.10.2018]

Tobias Huschka

 

 

Manifesta 12 bedeutet für mich zusammen zu sitzen, zusammen zu diskutieren, aneinander zuzuhören und gegenseitig zu inspirieren.

Jeder Tag war von neuen Anreizen geprägt, die uns zur täglichen Auseinandersetzung aufgefordert haben. Sei es zu zweit, in einer kleinen Gruppe oder mit allen gemeinsam zusammen. Unsere Gedanken mussten täglich verbalisiert werden, um Feedback aus der Gruppe zu erhalten, um Themen besser zu verstehen und somit auch die Perspektive wechseln zu können. Palermo forderte uns auf, das derzeitige Weltgeschehen gemeinsam zu analysieren und mit den uns gezeigten künstlerischen Positionen in Verbindung zu setzen.

Das sorgfältig kuratierte Programm gab uns Anreize über das Kunstwerk hinaus zu denken – welche Rolle spielt die ausgewählte Venue? Wie fühlst du dich an diesem Ort? Wie werden die gezeigten Werke in Kombination gesetzt?
Diese Form der Darstellung übermittelte ein Gefühl des permanenten Diskurs. Überall warteten neue Anreize, die Diskussionen und weitere Fragen eröffneten!

Und genau diese Themen haben einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen, die mich auch noch jetzt, im Alltag wieder erreichen und mich zu weiterem nachdenken anregen um weitere Lösungsmöglichkeiten, der mir gestellten Fragen, zu finden.

Julia Jeske

 

Warum Palermo?

Die diesjährige Kunstexkursionswoche fand in Palermo statt, wo die Manifesta 12 stattfand. Für mich war es eine tolle Möglichkeit, einen größeren Einblick in die zeitgenössische Kunst zu erhalten und ohne Zeitdruck mich intensiver mit den Themen der Ausstellung auseinandersetzen zu können. Zu Beginn der Reise sollten wir uns Gedanken und Fragen aufschreiben, die uns persönlich interessierten. Obwohl es etwas banal erscheinen mag, wollte ich unbedingt nachvollziehen, warum genau Palermo für die diesjährige Manifesta ausgesucht wurde.

In meinem Kopf spukten Vorurteile wie Mafia, Korruption, große Armut und die daraus resultierende hohe Kriminalität herum. Ich konnte mir nicht wirklich vorstellen, wie an diesem Ort eine der größten Kunstausstellungen für zeitgenössische Kunst stattfinden sollte. In Palermo angekommen, musste ich mich erst einmal durch kunterbuntes Chaos auf den Straßen kämpfen, vorbei an Straßenhändlern, die ihre Ware preis boten und entlang an kleinen Cafés bei denen Jung und Alt zusammenkamen. Es war anders, lauter und lebhafter als in den geordneten Straßen Deutschlands. Ich fühlte mich direkt wohl und genoss das bunte Treiben. Ich glaubt zu erahnen, wieso das diesjährige Thema „The Planetary Garden. Cultivating Coexistence“ unglaublich gut zu der sizilianischen Hauptstadt passen könnte. Doch der „AHA-Effekt“ trat erst nach dem zweiten Tag ein, an dem wir bereits einige Orte, an denen die Kunstwerke ausgestellt wurden, besichtigt hatten.

Als Ausstellungsräume dienten Kirchen, Gärten und historische, prachtvolle Gebäude, welche sich in und außerhalb der Stadt befanden. Einige der jahrzehntelang, vernachlässigten Palazzi waren selbst für viele Palermitaner bislang verschlossen geblieben und wurden nun für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. In einem Gespräch mit Giuseppe Arici, der ein Ansprechpartner für die Besucher der Manifesta war, erfuhren wir, dass der Zerfall ein deutliches Zeichen der wirtschaftlichen Not und Armut ist, unter der Sizilien leidet. Obwohl viele Faktoren das Leben in der Stadt erschweren und einige davon während unseres Aufenthaltes auch deutlich spürbar waren, konnte man den Optimismus und die Zuversicht der Einwohner („das mediterrande Denken“) deutlich wahrnehmen. Wir erfuhren, dass die Kuratoren von der Vision einer interkulturellen Stadt überzeugt waren und u.a. aus diesem Grund Palermo auswählten. Im Internet konnte ich dazu einen Artikel mit der Aussage der Kuratorin Mirjam Varadinis finden: „Palermo ist eine Stadt, in der nichts abgerissen wird. Ist etwas nicht mehr in Funktion, dann bleibt es einfach stehen. Wir wollten an Orten arbeiten, die in ihrer DNA schon Geschichten mit sich bringen, die für die Themen, die wir zur Diskussion stellen, als Echoraum funktionieren”. Und dieser Aspekt ist wirklich beeindruckend, wenn man die Architektur der Gebäude Palermos näher betrachtet. Hier stehen Bauwerke der gotisch-mediterranen Architektur direkt neben Gebäuden, die dem arabischen Baustil zugeordnet werden können. Während ich durch die Straßen und schmalen Gassen ging, hatte ich des öfteren das Gefühl der Zeitlosigkeit und es schien mir, als wären hier schon Jahrhunderte zuvor die Kulturen verschmolzen. Am Ende der Woche konnte ich mir selbst eine ziemlich klare Antwort auf meine anfangs gestellte Frage geben. Die sizilianische Hauptstadt war trotz – oder gerade wegen – ihrer Ecken und Kanten genau der richtige Ausstellungsort für die diesjährigen Themen, die auf der Manifesta 12 behandelt werden sollten.

Jenny Schneider

 

Article 11

Bildquelle: m12.manifesta.org/article-11-2018/

Eine Arbeit über die ich gerne sprechen möchte ist Article 11 von Tania Bruguera, die mit den Aktivisten des Movimento No Muos zusammengearbeitet hat.

Die MUOS (Mobile User Objective System) ist ein Satellitenkommunikation der US Army und eine Basis der vier Stationen ist auf Sizilien (die anderen sind in Hawaii, Australien und Virginia). Die drei riesige Satelliten sind zwischen den Bergen versteckt in einem Wald platziert und unterstützen die Steuerung und Koordination von US Drohnen. Seit 2009 demonstrieren Einwohner gegen diese Satellitenbasis da sie nicht nur den Krieg unterstützt, sondern auch gesundheitliche und ökonomische Risiken durch die Funkwellen mit sich führt.

Leider wird die Problematik mit der MUOS in den Medien nicht publik gemacht. Auf unserer Guided Tour der Sektion erzählte unser Guide, dass sogar viele Sizilianer nichts von dieser schädlichen Station wissen. Mit dem Projekt wollte die Künstlerin der aktivistischen Organisation gegen die MUOS eine Stimme geben und vielleicht eine weltweite sichtbar machen. Mit unterschiedlichen Medien wird der aktivistische Kampf gegen die MUOS dokumentiert, dies behinhaltet Audio, Video und Fotografie.

Ich finde es spannend, dass eine Künstlerin mit einer aktivistischen Organisation zusammenarbeitet und auf eine künstlerische Art und Weise wichtige politische Themen dokumentiert. Allgemein fand ich es sehr spannend, dass die Manifesta so viele informative, aktivistische und soziale Projekte beinhaltete.

Das Projekt wird im Palazzo Ajutamicristo ausgestellt und gehört zur Sektion “Out of Control Room”.

Alexandra Smirnov