Kunstpädagogische Positionen 54: Iris Laner – Sehen in Gemeinschaft und 55: Olaf Sanders – Kunststunde

Die neuen Hefte der „Kunstpädagogischen Positionen“ sind ab sofort als E-Book oder Büchlein verfügbar unter:

Heft 54: Iris Laner – Sehen in Gemeinschaft

Heft 55: Olaf Sanders – Kunststunde

 

Iris Laner – Sehen in Gemeinschaft

Die abendländische Ästhetik und mit ihr die Kunstpädagogik versteht ästhetisches Erfahren über weite Strecken als auf die*den Einzelne*n konzentrierten Vollzug. Vor allem mit Blick auf Lernprozesse und die Frage, wer, wie und unter welchen Umständen Wissen erwerben kann, ist diese solipsistische Zuspitzung folgenreich. Sie lässt in epistemischer ebenso wie pädagogischer Hinsicht ein großes Potential des Ästhetischen unthematisiert. In meinem Beitrag nehme ich daher eine Perspektive auf das ästhetische Erfahren ein, die im deutschsprachigen Diskurs unterrepräsentiert ist. Ich folge der verblassten Spur der ästhetischen Gemeinschaft vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart und skizziere, wie über ein gemeinschaftliches ästhetisches Erfahren für die kunstpädagogische Diskussion gewinnbringend gesprochen werden könnte.

Olaf Sanders – Kunststunde

Am 3. Oktober 2019 kam der Film „Deutschstunde“ in die Kinos. Ich halte ihn für einen der schlechtesten Kinofilme des vergangenen Jahres, weil er Ambivalenzen zum Verschwinden bringt, die die Romanvorlage von Siegfried Lenz (1968) auszeichnen, wie ihr lebendiges Gespür für das Zeit- und Lokalkolorit sowie ihre Ironie. Der Kinofilm fällt weit hinter Peter Bauvais’ zweiteiligen Fernsehfilm aus dem Jahr 1971 zurück. Deutschstunde erzählt von Siggi Jepsen, der in einer reformpädagogischen Anstalt eine Jugendstrafe verbüßt und eine Strafarbeit über »Die Freuden der Pflicht« schreiben muss, die sich dann zum Roman weitet, der vor allem das sich wandelnde Verhältnis seines Vaters, dem Polizeiposten Rugbüll, zu Max Ludwig Nansen beschreibt, einem international renommierten Maler, der von den Nazis mit einem Malverbot belegt wird, das Jens Ole Jepsen überwachen soll, weil er »am nächsten dran« ist. Als Vorbild für die ästhetische Figur Max Ludwig Nansen diente Lenz Emil Nolde. Nolde war ein bekennender Nazi und Antisemit, der den nordischen Expressionismus gegen den französischen Impressionismus verteidigen wollte und noch Mitte der 1930er Jahre als einer der wichtigsten modernen deutschen Künstler galt – mit eigenem Saal in der Berliner Nationalgalerie. Er wurde dann sehr schnell zum meistbeschlagnamten deutschen Künstler, dessen Arbeiten sich dann auch in der berühmten und ausgesprochen erfolgreichen Ausstellung »Entartete Kunst« wiederfanden. Nolde gelang es, das seine Bilder in den Folgeausstellungen nicht mehr zu sehen waren, und er strickte durch Korrekturen an seinen autobiographischen Schriften auch erfolgreich an der Nachkriegslegende des Nazi-Opfers mit, dessen Bilder dann auch auf der ersten documenta gezeigt und später von Walter Jens vor dem Maler in Schutz genommen wurden. Helmut Schmidt schrieb Lenz nach Erscheinen von Deutschstunde, dass Nolde wesentlich zu seinem Abfall vom Nationalsozialismus beigetragen habe; und bis zur Bitte, es für die wieder ausgesprochen erfolgreiche Ausstellung Emil Nolde. Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus (2019 im Hamburger Bahnhof in Berlin) entleihen zu dürfen, hing Noldes Gemälde Brecher (1936) im Besprechungszimmer der Bundeskanzlerin, wohin es nach Ausstellungsende nicht zurückkehrte.
Um dieses politisch-malerisch-filmische Rhizom soll es in meinem Vortrag gehen – ausgehend von Gilles Deleuze Philosophie der Welle und Deleuze/Guattaris Anleitung für ein nichtfaschistisches Leben, dem ästhetische Bildung und die Kunstpädagogik verpflichtet sein sollten. In diesem Sinn geht es zu Beginn der 20er Jahre zurück in die Zukunft.