BE AWARE ! Das Mehr an Gegenwart in der aktuellen Kunst

Hinweis: Tagung am 3. Juni 2016 

Die Tagung thematisiert das ansteigende Bewusstsein über prekäre Felder gegenwärtigen Lebens und seiner Präsenz so wie seine Bezüge in der aktuellen Kunst. BE AWARE heißt darum sich dieser Herausforderung mit größter Aufmerksamkeit zu stellen. In wieweit Mehr, mehr an Intensität, mehr an Performativität und medialer Reflexion bedeutet, die in politischen, spirituellen und biografischen Aspekten der künstlerischen Strategien derzeit eine große Rolle spielen, soll auf der Tagung zum Einen kunsttheoretisch und kunstkritisch diskutiert werden. Zum Anderen erweist es sich als wichtig für die Standortbestimmung aktueller Kunst und ihre Rezeptionssituationen einzelne Positionen näher zu beleuchten und darüber zu debattieren.
Der amerikanische Künstler chinesischer Herkunft Michael Zheng wird anwesend sein und seine neue, eigens für diese Situation entwickelte Performance vorstellen.

Michael Zhengs Arbeit ist konzeptuell und zumeist performativ, zudem durch einen polyvalenten Umgang mit Medien gekennzeichnet. Starke Aktualität und Interaktionsbezug verdanken sich seinem Interesse an Wahrnehmungsvorgängen und Erkenntnisweisen von Realität. Letztere wird von ihm stets hinterfragt um Raum für andere und neue Perspektiven zu eröffnen (reflecting and refracting reality).

Gegenwartskunst ist ein elastischer Begriff, der die Kunst der letzten 50 Jahre umfasst. Der Begriff Gegenwart selber ist eigentümlich breit und „wattig“ ausgedehnt (Gumbrecht 2012, S. 70) und stellt das Ende einer linearen Zeitlichkeit dar. Kunst der Gegenwart agiert in den wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Zusammenhängen, in die sie eingebettet ist. Das macht ihre Aktualität aus. Aktuelle Kunst ist gegenwärtig, aber sie entgrenzt Gegenwart, überschreitet sie ins Offene. Die Chance der Kunst liegt darin, das Feld ersichtlicher Gegenwart aufzureißen und dem Möglichkeitsfeld einen Horizont zu eröffnen. Was Kunst zeigt, kann nicht vergegenwärtigt werden. Es entzieht sich bekannten Kriterien und Begriffen und liefert weder eine klare Orientierung am Bild noch an Werten wie Emanzipation, Freiheit oder Glück, die dennoch nicht preisgegeben werden wollen. Wir sind Zeitgenossen aktueller Kunst, als solche befinden wir uns am Rande der Gegenwart. Zudem leben wir nicht in einer gemeinsamen, vielmehr in verschiedenen Gegenwarten. Wir erfahren die endlosen Formen künstlerischen Überschreitens von Visualität und stellen uns der unkontrollierbaren Offenheit. In historischer Perspektive können Zusammenhänge erkannt werden, die für die aktuelle Gegenwart so noch nicht existent sind. Aber auch ohne objektiven Sinnzusammenhang bewerten wir Kunst ständig, unterscheiden Kunst von Nicht-Kunst. Wir stellen Sinn her und setzen Sinn aufs Spiel, wenn wir uns eingestehen, dass wir „sprachlos“ sind, weil uns das zutiefst berührt, was wir wahrnehmen (Vgl. Egenhofer 2008).
Weil Kunst unserer globalen Gegenwart auch nach Autonomie und Avantgarde mehr ist als die ständige innovative Produktion der noch neueren Form – die sogar zu Zwecken der Produktionssteigerung in Maßen irritieren darf – hält sie eine Differenz zu sich selbst wie zu bereits Bekanntem aufrecht. In dieser Differenz liegt anthropologisch die Kraft, die dazu führt, kritische Werte nicht preiszugeben, um Kunst von innovativer Waren-Produktion weiterhin zu unterscheiden. Ohne einer bestimmten Gattung zu unterliegen öffnen sich aktuelle künstlerische Strategien für alle Bereiche des Lebens, das einerseits sedimentierter Bestandteil lebendiger, aber reflektierter individueller Erfahrung ist, andererseits jeweils eigenständige Definition und Entwurf einer möglichen Realität.

Literatur:
Egenhofer, Sebastian (2008): Bild der Kunstkritik als Schwimmerin. In: Krieger, Verena(Hg.): kunstgeschichte & gegenwartskunst. vom nutzen und nachteil der zeitgenossenschaft. S. 59- 66.
Gumbrecht, Hans Ulrich (2012): Präsenz, Berlin.
Rebentisch, Juliane (2013): Theorien zur Gegenwartskunst. Hamburg 2013.

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